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4zylinder Kurbelwellen

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sven
Beiträge: 3451
Registriert: 23. Jan 2016
Motorrad:: Yamaha/Cagiva

4zylinder Kurbelwellen

Beitrag von sven »

So, weil ich an dem Artikel "Zündversatz und Drehmoment" in der PS rumgemeckert habe will ich hier
mal versuchen den Sachverhalt besser (vor allem richtiger) zu beschreiben. Dazu muß ich ein bißchen
ausholen und mach das hier indem ich erstmal ganz grob die althergebrachte "flat plane" Kurbelwelle
beschreibe. Jetzt ist es so daß sich die gesamte Thematik wirklich astrein und extrem genau mathematisch
beschreiben läßt, aber ich möchte es hier im Forum lieber anschaulich und leicht verständlich halten, des-
wegen werd ich hier nichts rechnen. Der Nachteil dabei ist daß sich manche Sachen in Worten nicht
wirklich genau beschreiben lassen, wenn also jemandem das Ganze schwammig und unpräzise vor-
kommt können wir das gern genauer behandeln, aber für den Anfang denke ich geht's jetzt erstmal so:

Für 4zylinder Reihenmotoren werden in den all ermeisten Fällen "flache" [1] Kurbelwellen verwendet die gleiche (180°) Zündabstände bedingen. Die beiden äußeren Kolben laufen dann synchron, ebenso die beiden inneren, aber eine halbe Umdrehung versetzt. Vorteile diese Konstruktion sind eben besagter gleicher Zünd-
abstand und gute Herstellbarkeit der Welle als Schmiedeteil [2] (es gibt auch gegossene Wellen, aber eher
bei Automotoren). Der Massenausgleich, also das Maß in dem sich die Massenkräfte der oszillierenden Bau-
teile (Kolben, obere "Hälfte" des Pleuels) gegenseitig aufheben scheint auf den ersten Blick sehr gut zu sein:
die Kröpfungen der Welle sind symmetrisch zur Mittelebene angeordnet, also erzeugt sie im Betrieb keine
freien Massenmomente, das heißt die Welle will nicht "paddeln" wie z.B. bei einer 3zylinder Triumph. Außer-
dem werden die Massenkräfte der beiden den oberen Totpunkt durchlaufenden Kolben ja durch jene der
im UT befindlichen ausgeglichen, die wirken ja in entgegengesetzter Richtung. Leider ist das nur die halbe
Wahrheit, das mit der Richtung stimmt natürlich, aber bei gegebener Drehzahl wird der obere Totpunkt immer
"ruckartiger" durchlaufen als der untere, deshalb sind die Massenkräfte hier größer. Anschaulich ausgedrückt:
laufen Kolben 1 und 4 durch den OT erzeugen sie damit mehr Zug nach oben auf die Kurbelwelle als die jetzt
im UT befindlichen 2 und 3 Druck nach unten. Insgesamt bleibt eine freie Massenkraft die den Motor nach oben zu ziehen versucht. Eine halbe Umdrehung später ist die Situation dieselbe, bloß mit vertauschten Rollen:
jetzt ziehen 2 und 3 (die ja jetzt den OT durchlaufen) stärker nach oben als 1 und 4 nach unten schieben, und
wieder wird der Motor nach oben gezogen. Weil diese Kraft pro Umdrehung zweimal geschieht, also mit
doppelter Drehfrequenz (=Drehzahl) des Motors auftritt nennt man sie "Kraft 2. Ordnung".
Und eben wegen ihrer doppelten Frequenz gibt es absolut keine Möglichkeit sie mit an der Kurbelwelle befind-
lichen Gegengewichten auszugleichen, die würden ja nur (Ausgleichs-)Kräfte erzeugen die mit einfacher Motordrehzahl auftreten. Wenn man das typischen hochfrequenten 4zylinder Vibrationen loswerden will
braucht es also Ausgleichswellen die mit doppelter Kurbelwellendrehzahl umlaufen. Sowas gibt es z.B.
bei großen K1200 (oder 1300?) BMWs und der Honda "Blackbird", die meisten 4zylinder haben sowas
aber nicht.
Dann gibt es noch einen weiteren Punkt der zwar lange Zeit weniger im Fokus stand aber z.B. von Ya-
maha bei der Beschreibung des R1 Motors erwähnt wird: die Drehungleichförmigkeit bei der "flachen"
4zylinder Kurbelwelle. Stehen die Kröpfungen alle im Bereich +-90° Kurbelwinkel, die Kolben also alle
auf gleicher Höhe knapp unter Mitte OT:UT ist ihre Geschwindigkeit und damit kinetische Energie ei-
nigermaßen maximal. Eine halbe Umdrehung später befinden sich alle in den Totpunkten, kommen
also zum Stillstand und ihre kinetische Energie = 0. Wo ist die Energie hin? Die ist nicht einfach ver-
schwunden, sondern in die Kurbelwelle "geflossen" die sich nun mit etwas höherer Winkelgeschwin-
digkeit dreht als vorher. Aber sofort wird dieses Mehr an Energie wieder aufgezehrt um die Kol-
ben wieder zu beschleunigen. Das ist die besagte Ungleichförmigkeit der Drehung und ich denke es ist
klar daß sie umso stärker ausgeprägt ist je "leichter" die Kurbelwelle im Verhältnis zu den Kolben ist.
Eine Welle mit großer Schwungmasse läuft "runder" als eine von einem Rennmotor.

[1] "flach" oder flat heißt in diesem Fall daß sich die Mittellinien der Haupt- und Pleuellagerzapfen in einer Ebene befinden.

[2] nicht flache, geschmiedete Wellen werden i.A. flach geschmiedet und danach verdreht (getwisted).

Soviel mal für's Erste!
Fragen, Anregungen, Gegenbeispiele?

Viele Grüße
Sven
Satan is my motor ...

meine XT

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Jupp100
Beiträge: 5620
Registriert: 12. Okt 2013
Motorrad:: Suzuki GS 850 G, Bj. 1980
Wohnort: Sande

Re: 4zylinder Kurbelwellen

Beitrag von Jupp100 »

Hi Sven,
auch ohne Zahlen sehr schön erklärt. .daumen-h1: :beten:
Ich vemute, ich habe es sogar verstanden. :wink:
Gruß Stefan





In meiner Realität bin ich Realist!

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Schinder
Beiträge: 5102
Registriert: 4. Mär 2013
Motorrad:: -

Re: 4zylinder Kurbelwellen

Beitrag von Schinder »

Moin

Kennen den Artikel in der PS nicht, finde Deinen aber gut.

Was man in letzter Zeit so in der Motorrad, der MO und anderen "Lach- und Flachblättern"
an "Schraubertips" und technischen Abhandlungen zu lesen bekommt,
das treibt einem Pedanten schon öfter mal den Blutdruck in ungeahnte Höhen.
zumeist hätte die "Maus" das besser erklärt ... :zunge:

Für Dein Archiv :
Die 4-Zylinder Vergaser-Triumphs haben zwei synchronisierbare AG-Wellen ... :wink:
Natürlich bei laufendem Motor von aussen zugänglich.


Gruss, Jochen !
Ich würde mich ja gerne entschuldigen, aber es tut mir einfach nicht leid.

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sven
Beiträge: 3451
Registriert: 23. Jan 2016
Motorrad:: Yamaha/Cagiva

Re: 4zylinder Kurbelwellen

Beitrag von sven »

Danke euch!

Der Artikel ist hier zu finden.
Er ist bestimmt nicht komplett falsch, aber der dort beschriebene Zusammenhang zwischen "sekundären Massenkräften" und
der Drehungleichförmigkeit existiert so nicht. Ein paar andere Fehler sind auch noch drin ...

Die großen 4zylinder Triumphs hatte ich gar nicht mehr auf dem Schirm.
Dazu könnte man noch anmerken daß um die Kräfte 2. Ordnung vollständig auszugleichen immer
zwei gegeneinander drehende Ausgleichswellen nötig sind (die wie schon gesagt mit doppelter
Kurbelwellendrehzahl laufen müssen). Diesen Aufwand spart man sich natürlich gern, er verteuert
den Motor ja nicht nur, sondern macht ihn auch schwerer und kostet ein bißchen Leistung (aber
das ist praktisch vernachlässigbar). Falls jemand diese Wellen ausbauen oder sonstwie stillegen
möchte: die Gegengewichte an den Hubwangen haben absolut keinen Einfluß auf diese Problem-
atik, die kann man getrost unverändert lassen.

Später mehr dazu!

Gruß
Sven
Satan is my motor ...

meine XT

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