Auch wenn es für euch viel zu lesen ist, den Rest am Stück!
Fortsetzung:
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Auf der Strecke zum Gipfel hatte ich dann das Gefühl, dass ich immer wieder die gleiche Gruppe überholen musste, und ich konnte mir keinen Reim drauf machen. Vielleicht hatte Touratech ja schon eine Beam-App im Programm oder ich hatte ein-zwei Wurmlöcher verpasst??!! Ganz oben am Gletscher angekommen kam dann die Erleuchtung. Dort tummelten sich weitere gefühlte 50 Biker, die hier scheinbar ein Partnerlook-Event abhielten. Es gab zwei Fraktionen, die Silber-schwarzen aus Bayern und die Orange-schwarzen aus Österreich. Jeweils mit fast identischen Ausstattungspaketen. Ich überlegte, falls meine nächste Maschine eine BWM oder KTM werden sollte, wie ich mich erfolgreich von der Masse abheben könnte. Aufrüsten geht da ja kaum noch, also vielleicht doch eher abspecken? Katzenklo hinten runter, Verkleidungsteile weg, anderer Lenker, Sitzbank kürzer, brachiale Bereifung, anderer Schalldämpfer, Mäusekino weg usw. hmmm, vor meinem geistigen Auge bollerte gerade eine alte Dakar. Oder sowas in Richtung HP2 – erste Konflikte zwischen Ursprungsidee und aktueller Erkenntnis. Naja, erst mal unauffällig von meinem Oldtimer entfernen und so machen als wär ich Teil der Ordensbrüder. Ich lauschte den Gesprächen um Nützliches aufzuschnappen. Aber komisch, „hä … was quatschen die da?!“ „Ohne zu Überlegen in die Bremshebel greifen… geiles ABS, Motormapping, Antischlupfgedöns, alles easy, Sitzheizung, Reservierung im Biker-Wellnesshotel, Begleitfahrzeug mit Gepäck“, - Die Gedankenwolke über mir nahm beträchtliche Ausmaße an. Hier wurde eine mir unbekannte Formel für Bikerglück angewandt: Kontostand geteilt durch Vollausstattung multipliziert mit unbemerktem Eingreifen der Fahrassistenten = maximale Zufriedenheit??? Nein, das war doch früher ganz anders: Gefahrene Kilometer geteilt durch gemeisterte Situationen plus Frostbeulen am Hintern, multipliziert mit Kumpels am Lagerfeuer,… so war doch die alte Formel für Glück?! Ich zog mich erstmal etwas zurück, um meine Gedanken zu sortieren.
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Noch während ich am Geländer des Aussichtspunktes stand und abwechselnd Gletscher (oder was davon übrig war) und Bikes betrachtete, viel mir inmitten der Nobelhobel eine alte Supertätarä auf. So eine, der man unzählige Touren bei Wind und Wetter durchaus ansah. Der zugehörige Fahrer war schnell ausgemacht, er hatte ähnliche Gebrauchsspuren wie seine Maschine. Da wo er stand hatte sich ein freier Bereich um ihn gebildet, eine Art Todeszone, die von den anderen Bikern streng gemieden wurde. Ich wagte es und latschte durch die Todeszone, hi, servus, alles klar? 3 Minuten später kicherten wir über die Teletubby-Kameras auf einigen Klapphelmen und machten uns über den Geldadel auf den Dickschiffen lustig. So übertrieben hatte ich es bisher noch nie empfunden, anders als in den Hochglanzmagazinen gezeigt, erinnerte so ein Hightechteil jetzt doch eher an die Titanic. Erste Zweifel an einer bikemäßigen Aufrüstung machten sich breit.
Wir beschlossen, dass hier rumstehen nur Fahrzeit verbraucht und dass man besser satteln sollte. Da wir ein ähnliches Ziel hatten, wollten wir ein Stück zusammen fahren. Ich schlich zu meiner TDM und stieg leicht beschämt auf. Ich bedauerte Hans (so war sein Name) weil sich gerade in seiner Nähe ein ganzes Rudel zu ihm gedreht hatte, als er begann den Motor anzuschmeißen. Das machte zunächst scheinbar Probleme, doch dann erwachte die Supertätarä mit Geräuschen wie „schpratz“ und „paff“. Es hörte sich fast so an, als wolle die alte Dame mit Gewalt einen Kolben ausspucken. Seitens der Edelbiker wurde dieses Verhalten augenscheinlich mit schadenfrohen Blicken kommentiert. Hans fummelte am Choke und schnell wechselten die Motorgeräusche von Husten auf Bollern. Hans suchte nach Blickkontakt und bekam von mir ein bestätigendes Nicken. Mit einem kurzen Gasstoß kündigte er das bevorstehende Einkuppeln an und gab mir sozusagen den Startschuss, diese unbehagliche Szenerie zu verlassen.
Wir hatten vorher ausgemacht erstmal runter vom Glockner und dann über verwinkelte Bergstraßen eine Biker freundliche Kneipe anzusteuern. Dort würden sich dann nach dem Essen unsere Wege trennen. Er kannte die Strecke und so hängte ich mich an sein Hinterrad. Während er versuchte herauszufinden wo bei mir die Komfortzone endet, hatte ich Zeit, um jeweils zwischen zwei Kurven an meinen Hunger und das Geräusch zu denken, was es macht, wenn man in der Küche Schnitzel klopft. Der alte Knabe war dann auf einmal richtig gut unterwegs und ich staunte, dass er irgendwie eine Symbiose mit seinem alten Bike eingegangen war. Die beiden rollten wie auf Schienen. Die „paff“ Geräusche vom Start waren auch unterwegs beim Runterschalten vor den Kurven unüberhörbar. Es dauerte 15 Minuten, bis ich mich daran gewöhnt hatte und aufhörte mich tief zu ducken wenn es knallte. Es war ein Vergnügen zu folgen und obwohl wir nie trainiert hatten, wäre für uns ein Preis im Synchronfahren drin gewesen. Irgendwie hatte ich Vertrauen in seine Kurventechnik und die unendliche Bodenfreiheit seiner Enduro. Da mein TDM-Fahrwerk nicht schlechter als das seiner XTZ war, versuchte ich einfach nachzumachen was er da für mich vorlegte. Seinen Heimvorteil (er kam glaub ich aus Salzburg) machte ich durch Adrenalin wieder wett. Wow, kurz beim Anbremsen das Vorderrad stehen geblieben, hui beim Rausbeschleunigen ein paar Meter mit Hinterraddrift im Rollsplit, hundert Mal geübt und daher alles nur begeistert zur Kenntnis genommen. Da war es dann wieder, ich hatte dieses geile Bauchgefühl, wenn der Körper Glückshormone im Überfluss produziert. Wie zwei strahlende Ritter auf ihren herrlichen Rössern, mit elfenhafter Eleganz und unbändiger Energie, so flogen wir durch die sonnengeschwängerte Luft wie Vincent der Falke und…. haaalt brrrr, stopp,…. Sorry Jungs keine Ahnung wo dieser Kitsch jetzt herkam, das muss die Mädchenversion der Story sein, ähm t‘schuldigung.
Also weiter, trotz Mücken auf der Brille, Benzingestank in der Nase und nasser Füße, ich hatte mich bei einer Pinkelpause an einem Bachlauf verschätzt, kamen wir irgendwie total geerdet am Ziel an. Das war dann auch genau der Moment wo ich mich bezüglich einer Neuanschaffung endgültig entschieden hatte. Diese zwei Tage durch die Dolomiten, beziehungsweise die letzte Abfahrt vom Glockner hatte bei mir den Reset-Knopf gedrückt. Hightech ist also unwichtig für echten Fahrspaß und es bedarf wirklich nicht viel um glücklich sein. Dazu gehört auch noch der alte Ehrenkodex der Motorradfahrer. Gegenseitige Achtung und so Dinge wie Hilfsbereitschaft und Großzügigkeit. Um einem aus einer misslichen Lage zu helfen, gibt der Ur-Biker sein letztes Hemd her und er fährt niemals mit schadenfrohem Lächeln an einer Panne vorbei.
Ich hatte also wiederentdeckt was schon immer da war. Die Einstellung, der Spirit, die alten Werte und echte Kumpels - und das Beste, - das alles „kosta fast garnichts“. Wer zudem einen minimalistischen Bock fährt und keine All-Inklusiv-Schüssel, ist immer mittendrin statt nur mit dabei.
Das Verschlingen unzähliger Motorradheftchen und Vergleichstest war also alles Umsonst. Das wirklich Richtige für mich war die Abkehr vom Technologiewahn. Meine TDM gab ich dennoch mit bestem Gewissen in gute Hände und meine neue Alte wurde eine 1975er Guzzi, leicht modifiziert aber nicht hochgerüstet. Wenig später fand ich mich hier im Forum mit Gleichgesinnten und es war wieder soooo geiiiil ein Ritter mit reinem Gewissen und zufrieden mit sich und der Welt zu sein und und und…. ups stopp, ich werde schon wieder sentimental.
Also seid gegrüßt ihr Helden und glaubt mir nicht alles wenn ich über eine GS oder Adventure meckere, ich find die heimlich immer noch irgendwie geil, nur anders.