Moin zusammen,
in der Unfallanalyse ist eure Diskussion zur Kollisionsmechanik quasi der "Werkzeugkasten" aus dem man sich bedient, wenn es um die Aufklärung von Verkehrsunfällen geht. Daher fühle ich mich zu 1-2 Zeilen berufen. Falls also jemand Bock auf einen kleinen Exkurs hat.... Alle anderen können gerne den Post überspringen.
Bei der "idealisierten" Kollision gilt der Grundsatz der Impulserhaltung und dort wird rein die kinetische Energie ohne Verluste betrachtet. Beispiel: Impuls Fahrzeug 1 vor der Kollision + Impuls Fahrzeug 2 vor der Kollision = Impuls Fahrzeug 1 nach der Kollision + Impuls Fahrzeug 2 nach der Kollision:
Impuls 1.JPG
Wie ihr schon richtig bemerkt habt, fehlt da natürlich jegliche Form von kinetischer Energie die sich im Zuge der Kollision umwandelt. Je nach Kollision ist das vernachlässigbar, andererseits aber auch oft nicht. Die Impulserhaltung "kennt" jedoch keine Deformationsarbeit und die macht ja schließlich das Auto kaputt: Also stellen wir das ganze über die Energieerhaltung dar, und hängen noch ein Delta E hinten dran. Das Delta E beschreibt dabei jegliche Form von kollisionsbedingt umgewandelter Energie.
Imupls 2.JPG
Umgewandelte Energie kann:
• Die an den Fahrzeugen verrichtete Deformationsarbeit 𝑊𝑑𝑒𝑓
• Umwandlung in thermische Energie
• Umwandlung der translatorischen Bewegung und damit translatorischen kinetischen Energie in eine rotatorische Bewegung und somit rotatorische kinetische Energie
• an die Umgebung abgegebene Verluste, beispielsweise durch Reifenkräfte.
sein.
Man kann es zwar jetzt ausführlich diskutieren, aber bis auf ein paar Einzelfälle in denen die Reifenkräfte eine Rolle spielen, ist das einzige was wirklich einen Unterscheid macht die Umwandlung von kinetischer Energie in Deformationsarbeit. Der Rest ist vernachlässigbar. Als kleines Beispiel, setzt man die gesamte kinetische Energie eines Fahrzeugs, das 50 km/h fährt in Wärmeenergie um, so könnte man die Gesamttemperatur des Fahrzeugs gerade mal um rund 0,3°C erhöhen. Oder um es anschaulicher zu machen: Man benötigt bei 25% Gesamtwirkungsgrad rund 13g Benzin um ein Fahrzeug auf 50 km/h zu beschleunigen. Wieviel wärmer man die Gesamtmasse des Fahrzeugs mit 13g Benzin bekommt, dürfte marginal sein.
Kommen wir also zum Beispiel des Wandanpralls. Zur Einfachheit erstmal wieder ein idealisierter Anstoß. Das Fahrzeug fährt gegen die Wand und bleibt in der Kollisionsposition an der Wand stehen, ohne Rückprall. In diesem Fall wird sämtliche kinetische Energie (=Impuls) in Deformationsarbeit umgewandelt:
EE1.JPG
In diesem Fall nennen wir die Kollisionsgeschwindigkeit EES (energy equivalent speed). Ein Begriff, der genutzt wird um bestimmte Beschädigungen an Fahrzeugen anschaulicher beschreiben zu können. "Die Beschädigungen am Fahrzeug sind vergleichbar mit einem Wandanprall von 50 km/h" ist viel anschaulicher als: Die Beschädigungen entsprechen einer Deformationsarbeit von xxx Joule.
Wie schon richtig angemerkt, prallt das Fahrzeug natürlich in den meisten Fällen von der Barriere zurück. Unter dieser Prämisse muss von der EES noch die vorhandene kinetische Energie nach dem Anprall abgezogen werden.
Möchte man jedoch eine Kollision mit dem Impulserhaltungssatz darstellen und trotzdem die umgewandelten Energien berücksichtigen, so wird der sogenannte Stoßfaktor benötigt. Betrachtet man diesen energetisch so beschreibt er das Verhältnis von kinetischer Energie vor dem Stoß und nach dem Stoß und kann so als Größe in die Impulserhaltung einfließen.
Unter Einschränkungen kann eine Kollision also sowohl mit der Impuls, als auch mit der Energieerhaltung betrachtet werden. Die Deformationsarbeit, also die Deformation der Fahrgastzelle kann aber eigentlich nur vernünftig über die Energieerhaltung betrachtet werden.
Möchten wir mit "Aufprallkräfte" jedoch wissen, wie sehr die Insassen belastet werden - ohne so Späße wie dass eine deformierte Fahrgastzelle die Beine zertrümmert, so benötigen wir die kollisionsbedingte Geschwindigkeitsänderung, denn die macht uns kaputt. Das ganze jetzt für verschiedene Kollisionstypen aufzudröseln macht auch viel Spaß, würde den Rahmen aber sprengen.
Wer Interesse hat dem kann ich das Kapitel Kollisionsmechanik im "Handbuch Unfallrekonstruktion":
https://link.springer.com/book/10.1007/ ... 348-9974-3
oder das Buch "Unfallrekonstruktion"
https://www.unfallrekonstruktion.eu/
empfehlen. Alternativ gibts ein paar kostenlose Publikationen hier, da muss man etwas nach den Themen schauen.
https://www.ureko.de/publikationen/