4zylinder Kurbelwellen
Verfasst: 3. Aug 2018
So, weil ich an dem Artikel "Zündversatz und Drehmoment" in der PS rumgemeckert habe will ich hier
mal versuchen den Sachverhalt besser (vor allem richtiger) zu beschreiben. Dazu muß ich ein bißchen
ausholen und mach das hier indem ich erstmal ganz grob die althergebrachte "flat plane" Kurbelwelle
beschreibe. Jetzt ist es so daß sich die gesamte Thematik wirklich astrein und extrem genau mathematisch
beschreiben läßt, aber ich möchte es hier im Forum lieber anschaulich und leicht verständlich halten, des-
wegen werd ich hier nichts rechnen. Der Nachteil dabei ist daß sich manche Sachen in Worten nicht
wirklich genau beschreiben lassen, wenn also jemandem das Ganze schwammig und unpräzise vor-
kommt können wir das gern genauer behandeln, aber für den Anfang denke ich geht's jetzt erstmal so:
Für 4zylinder Reihenmotoren werden in den all ermeisten Fällen "flache" [1] Kurbelwellen verwendet die gleiche (180°) Zündabstände bedingen. Die beiden äußeren Kolben laufen dann synchron, ebenso die beiden inneren, aber eine halbe Umdrehung versetzt. Vorteile diese Konstruktion sind eben besagter gleicher Zünd-
abstand und gute Herstellbarkeit der Welle als Schmiedeteil [2] (es gibt auch gegossene Wellen, aber eher
bei Automotoren). Der Massenausgleich, also das Maß in dem sich die Massenkräfte der oszillierenden Bau-
teile (Kolben, obere "Hälfte" des Pleuels) gegenseitig aufheben scheint auf den ersten Blick sehr gut zu sein:
die Kröpfungen der Welle sind symmetrisch zur Mittelebene angeordnet, also erzeugt sie im Betrieb keine
freien Massenmomente, das heißt die Welle will nicht "paddeln" wie z.B. bei einer 3zylinder Triumph. Außer-
dem werden die Massenkräfte der beiden den oberen Totpunkt durchlaufenden Kolben ja durch jene der
im UT befindlichen ausgeglichen, die wirken ja in entgegengesetzter Richtung. Leider ist das nur die halbe
Wahrheit, das mit der Richtung stimmt natürlich, aber bei gegebener Drehzahl wird der obere Totpunkt immer
"ruckartiger" durchlaufen als der untere, deshalb sind die Massenkräfte hier größer. Anschaulich ausgedrückt:
laufen Kolben 1 und 4 durch den OT erzeugen sie damit mehr Zug nach oben auf die Kurbelwelle als die jetzt
im UT befindlichen 2 und 3 Druck nach unten. Insgesamt bleibt eine freie Massenkraft die den Motor nach oben zu ziehen versucht. Eine halbe Umdrehung später ist die Situation dieselbe, bloß mit vertauschten Rollen:
jetzt ziehen 2 und 3 (die ja jetzt den OT durchlaufen) stärker nach oben als 1 und 4 nach unten schieben, und
wieder wird der Motor nach oben gezogen. Weil diese Kraft pro Umdrehung zweimal geschieht, also mit
doppelter Drehfrequenz (=Drehzahl) des Motors auftritt nennt man sie "Kraft 2. Ordnung".
Und eben wegen ihrer doppelten Frequenz gibt es absolut keine Möglichkeit sie mit an der Kurbelwelle befind-
lichen Gegengewichten auszugleichen, die würden ja nur (Ausgleichs-)Kräfte erzeugen die mit einfacher Motordrehzahl auftreten. Wenn man das typischen hochfrequenten 4zylinder Vibrationen loswerden will
braucht es also Ausgleichswellen die mit doppelter Kurbelwellendrehzahl umlaufen. Sowas gibt es z.B.
bei großen K1200 (oder 1300?) BMWs und der Honda "Blackbird", die meisten 4zylinder haben sowas
aber nicht.
Dann gibt es noch einen weiteren Punkt der zwar lange Zeit weniger im Fokus stand aber z.B. von Ya-
maha bei der Beschreibung des R1 Motors erwähnt wird: die Drehungleichförmigkeit bei der "flachen"
4zylinder Kurbelwelle. Stehen die Kröpfungen alle im Bereich +-90° Kurbelwinkel, die Kolben also alle
auf gleicher Höhe knapp unter Mitte OT:UT ist ihre Geschwindigkeit und damit kinetische Energie ei-
nigermaßen maximal. Eine halbe Umdrehung später befinden sich alle in den Totpunkten, kommen
also zum Stillstand und ihre kinetische Energie = 0. Wo ist die Energie hin? Die ist nicht einfach ver-
schwunden, sondern in die Kurbelwelle "geflossen" die sich nun mit etwas höherer Winkelgeschwin-
digkeit dreht als vorher. Aber sofort wird dieses Mehr an Energie wieder aufgezehrt um die Kol-
ben wieder zu beschleunigen. Das ist die besagte Ungleichförmigkeit der Drehung und ich denke es ist
klar daß sie umso stärker ausgeprägt ist je "leichter" die Kurbelwelle im Verhältnis zu den Kolben ist.
Eine Welle mit großer Schwungmasse läuft "runder" als eine von einem Rennmotor.
[1] "flach" oder flat heißt in diesem Fall daß sich die Mittellinien der Haupt- und Pleuellagerzapfen in einer Ebene befinden.
[2] nicht flache, geschmiedete Wellen werden i.A. flach geschmiedet und danach verdreht (getwisted).
Soviel mal für's Erste!
Fragen, Anregungen, Gegenbeispiele?
Viele Grüße
Sven
mal versuchen den Sachverhalt besser (vor allem richtiger) zu beschreiben. Dazu muß ich ein bißchen
ausholen und mach das hier indem ich erstmal ganz grob die althergebrachte "flat plane" Kurbelwelle
beschreibe. Jetzt ist es so daß sich die gesamte Thematik wirklich astrein und extrem genau mathematisch
beschreiben läßt, aber ich möchte es hier im Forum lieber anschaulich und leicht verständlich halten, des-
wegen werd ich hier nichts rechnen. Der Nachteil dabei ist daß sich manche Sachen in Worten nicht
wirklich genau beschreiben lassen, wenn also jemandem das Ganze schwammig und unpräzise vor-
kommt können wir das gern genauer behandeln, aber für den Anfang denke ich geht's jetzt erstmal so:
Für 4zylinder Reihenmotoren werden in den all ermeisten Fällen "flache" [1] Kurbelwellen verwendet die gleiche (180°) Zündabstände bedingen. Die beiden äußeren Kolben laufen dann synchron, ebenso die beiden inneren, aber eine halbe Umdrehung versetzt. Vorteile diese Konstruktion sind eben besagter gleicher Zünd-
abstand und gute Herstellbarkeit der Welle als Schmiedeteil [2] (es gibt auch gegossene Wellen, aber eher
bei Automotoren). Der Massenausgleich, also das Maß in dem sich die Massenkräfte der oszillierenden Bau-
teile (Kolben, obere "Hälfte" des Pleuels) gegenseitig aufheben scheint auf den ersten Blick sehr gut zu sein:
die Kröpfungen der Welle sind symmetrisch zur Mittelebene angeordnet, also erzeugt sie im Betrieb keine
freien Massenmomente, das heißt die Welle will nicht "paddeln" wie z.B. bei einer 3zylinder Triumph. Außer-
dem werden die Massenkräfte der beiden den oberen Totpunkt durchlaufenden Kolben ja durch jene der
im UT befindlichen ausgeglichen, die wirken ja in entgegengesetzter Richtung. Leider ist das nur die halbe
Wahrheit, das mit der Richtung stimmt natürlich, aber bei gegebener Drehzahl wird der obere Totpunkt immer
"ruckartiger" durchlaufen als der untere, deshalb sind die Massenkräfte hier größer. Anschaulich ausgedrückt:
laufen Kolben 1 und 4 durch den OT erzeugen sie damit mehr Zug nach oben auf die Kurbelwelle als die jetzt
im UT befindlichen 2 und 3 Druck nach unten. Insgesamt bleibt eine freie Massenkraft die den Motor nach oben zu ziehen versucht. Eine halbe Umdrehung später ist die Situation dieselbe, bloß mit vertauschten Rollen:
jetzt ziehen 2 und 3 (die ja jetzt den OT durchlaufen) stärker nach oben als 1 und 4 nach unten schieben, und
wieder wird der Motor nach oben gezogen. Weil diese Kraft pro Umdrehung zweimal geschieht, also mit
doppelter Drehfrequenz (=Drehzahl) des Motors auftritt nennt man sie "Kraft 2. Ordnung".
Und eben wegen ihrer doppelten Frequenz gibt es absolut keine Möglichkeit sie mit an der Kurbelwelle befind-
lichen Gegengewichten auszugleichen, die würden ja nur (Ausgleichs-)Kräfte erzeugen die mit einfacher Motordrehzahl auftreten. Wenn man das typischen hochfrequenten 4zylinder Vibrationen loswerden will
braucht es also Ausgleichswellen die mit doppelter Kurbelwellendrehzahl umlaufen. Sowas gibt es z.B.
bei großen K1200 (oder 1300?) BMWs und der Honda "Blackbird", die meisten 4zylinder haben sowas
aber nicht.
Dann gibt es noch einen weiteren Punkt der zwar lange Zeit weniger im Fokus stand aber z.B. von Ya-
maha bei der Beschreibung des R1 Motors erwähnt wird: die Drehungleichförmigkeit bei der "flachen"
4zylinder Kurbelwelle. Stehen die Kröpfungen alle im Bereich +-90° Kurbelwinkel, die Kolben also alle
auf gleicher Höhe knapp unter Mitte OT:UT ist ihre Geschwindigkeit und damit kinetische Energie ei-
nigermaßen maximal. Eine halbe Umdrehung später befinden sich alle in den Totpunkten, kommen
also zum Stillstand und ihre kinetische Energie = 0. Wo ist die Energie hin? Die ist nicht einfach ver-
schwunden, sondern in die Kurbelwelle "geflossen" die sich nun mit etwas höherer Winkelgeschwin-
digkeit dreht als vorher. Aber sofort wird dieses Mehr an Energie wieder aufgezehrt um die Kol-
ben wieder zu beschleunigen. Das ist die besagte Ungleichförmigkeit der Drehung und ich denke es ist
klar daß sie umso stärker ausgeprägt ist je "leichter" die Kurbelwelle im Verhältnis zu den Kolben ist.
Eine Welle mit großer Schwungmasse läuft "runder" als eine von einem Rennmotor.
[1] "flach" oder flat heißt in diesem Fall daß sich die Mittellinien der Haupt- und Pleuellagerzapfen in einer Ebene befinden.
[2] nicht flache, geschmiedete Wellen werden i.A. flach geschmiedet und danach verdreht (getwisted).
Soviel mal für's Erste!
Fragen, Anregungen, Gegenbeispiele?
Viele Grüße
Sven