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Kurzstory – Der schlimmste Trip bleibt im Kopf

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T3Eric
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Motorrad:: Moto Guzzi T3 1975 Cafe 1100ccm ; BMW R1250R €5

Kurzstory – Der schlimmste Trip bleibt im Kopf

Beitrag von T3Eric »

Kurzstory – Der schlimmste Trip bleibt im Kopf

Brüder, hier möchte ich euch eine Story anbieten, die auf wahren Begebenheiten beruht. Ich habe nur hier und da Dinge abgekürzt um den Text möglichst kurzweilig zu gestalten. Die enthaltenen Dialoge sind anhand einer alten Gedächtnisnotiz nachgestellt. Ich hatte mir damals schon immer ein paar Notizen gemacht, um das mal bei Gelegenheit in ein Tagebuch übernehmen zu können. Hab ich aber nie gemacht…
Entschuldigt die Bildqualität, 1984 gabs weder Smartphone noch Digicam – nur Ritsch-Ratsch-Klick.

Mitte Mai 1984, wirklich schönes Wetter bei 24°C, erstes Lagerfeuer des Jahres, am Ende zweier Sixpacks (die einzig wahren).
Da saßen wir nun zusammen und bastelten angefixt vom nahenden Sommer an einer Idee für die nächste Tour. Wir, das sind (alle Namen geändert), Frank mit Z400, Andi mit RD350LC, Horst mit CB400N, Helle mit einer XL600 und ich mit GPZ550.
Das Ziel war irgendwie klar, denn es war die Zeit wo wir ständig rüber ins Elsass, bzw. die Vogesen getourt sind. Wir liebten die geilen Pisten, die sich oft viele Kilometer ohne störende Ortsdurchfahrt dahinzogen. Da fühlte man sich noch echt als Entdecker und nicht selten sah es dort aus, als wäre gerade eben erst die französische Armee aus den Befestigungen der alten Marginot-Linie ausgezogen. Die grobe Richtung war also klar, Tour mit Übernachtung am Lagerfeuer und weiteres würde sich unterwegs ergeben.
Eine Regelabweichung entstand durch einen Antrag von Horst. Er brauchte drei Anläufe für seine gestotterte Erklärung, dass er gerne Michi, eine rassige Halbitalienerin hinten drauf nehmen würde, weil er ohne sie keine 24 Stunden überleben könnte „die nehm ich mit - basta“ war sein Schlusswort. Bei den anderen löste das spontan erst mal ein langes ohhhh nooo aus und man malte sich schon die Konsequenzen bezüglich daraus resultierender Spaßvereitelung aus. Ausgerechnet Horst mit seinen brachialen 27 PS und schlecht eingestellten Vergasern. Und die Michi, Sozia-Neuling - da kannste garantiert in Kurven Blümchen pflücken meinte Andi.
Nun denn, dachten wir, bevor Horst den Miesepeter macht und uns die Tour versaut, dann solls halt so sein – Michi soll mit, breites Grinsen bei Horst. Das blöde war nun nur, dass Michi die Sache stolz und brühwarm der Kirsten erzählte. Kirsten war die Freundin von Frank und die informierte Gabi, Helles Freundin. Ihr könnt euch nicht vorstellen, wie schnell das rum ging. Ende vom Lied war, jeder hatte nun einen Arsch breit weniger Platz hinten drauf. Andi hatte allerdings Glück, denn seine Freundin weigerte sich seit längerer Zeit auf seiner RD mitzufahren. Sie hatte sich mal beim Absteigen am Auspuff verbrannt und seitdem eine tiefe Abneigung gegen das Töff. Somit war er der einzige Solofahrer.

Paar Tage später bei der beiläufigen Besprechung was wir einpacken sollten, gab es noch kurz eine Diskussion mit den Mädels wegen Ersatzklamotten, Kulturbeutel und Kuscheldecke. Andi meinte gleich, er könne unmöglich was von unseren Klamotten übernehmen. Schließlich hätte er nebst Schlafsack und Isomatte nur noch Platz für nen Kanister Zweitaktöl, ein großes Sortiment Ersatzbirnchen und das für unsere Zwecke umgepfrimelte Kassetenradio nebst Koch&Overbeck Lautsprecher. Andi hatte natürlich recht, Zweitaktöl war für ihn wichtiger als Luft zum Atmen. Die Glühbirnchen waren für ihn ebenso notwendig, denn die RD machte sich irgendwie nen Spass draus, die Dinger zu vernichten sobald der Drehzalmesser zu lange im roten Bereich war. Die Mucke war ebenfalls Pflichtgepäck. Wir hatten eigens dafür Steckdosen an unseren Böcken. Nur Helle hatte sich geweigert an seiner XL600 einen Anschluss vorzusehen. Er meinte seine 3AH Batterie wäre eh nach 15 Minuten leer. Lange Rede kurzer Sinn, wir hatten uns mit teils erfundenen Argumenten gegen die Gepäckwünsche der Mädels durchgesetzt und so kam es, dass wir wie immer tatsächlich nur das Nötigste für die Tour einpackten.
Schlafsack, Isomatte, Taschenmesser, ein Knäuel Draht, Leatherman, Feuerzeug, ne große Dose Ravioli, Zweikomponentenkleber - ein paar Müllsäcke, ein paar Quadratmeter Baufolie, zwei Flaschen Jacky und zwei 0,75er Buddeln Kola. Helle hatte noch stolz ne Familienpackung Snickers hochgehalten, aber abgegeben hatte er später nix davon.
Nun denn es ging los, zumindest für die ersten drei Kilometer. Frank bog unvermittelt in eine Tankstelle ein, er hatte tatsächlich schon wieder vergessen vorher zu tanken. Das war auch damals schon eine Todsünde und wurde gewöhnlich mit ‘nem Kasten Bier für die nächste Fete bestraft. Ja Leutz, daran hat sich bis heut noch nix geändert. Ich nutzte die Gelegenheit an der Tanke und holte mir noch ein Päckchen Jawannse Jongens und Papers von OCB.

Also dann, ab auf die B36, Hockenheim – B9 Speyer – Landau – Bad Bergzabern – Grenze STOPP.
Ja genau, STOPP - Helles Gabi hatte keinen Perso dabei! Ja Freunde, damals musste man noch den Perso an der Grenze zeigen. An der französischen Wache war Schluss mit Lustig. Jeder hatte seinen Ausweislappen dabei, außer Gabi. „Excuse moi ment Monsieur“ bitte, bitte lass uns durch „nous aimons votre pays“ wir lieben dein Land und überhaupt vive la France, bitte wir müssen unbedingt durch, weil wir sonst krank werden. Naja, was soll ich sagen, Gabi wurde aufgrund (oder trotz) ihres astreinen Badischfranzösich freundlich an die deutschen Beamten verwiesen, um dort Ersatzpapiere zu bekommen. Sowas wie ein Tagesausweis war das. Unterstützt durch die anderen Mädels und deren Augenklimpern riss man sich regelrecht darum einen Reiseausweis auszustellen. Wahrscheinlich war es aber auch nur eine willkommene Abwechslung für die netten Grenzer. Als wir Gabi später fragten, warum sie ohne Perso unterwegs ist und sie hätte doch wissen müssen, dass wir nach Frankreich rüber nen Ausweis brauchen, erwiderte sie mit einer unschlagbaren Ausrede. Sie hätte zwar gewusst, dass wir ins Elsass fahren, ihr Opa Paul hätte aber mal gesagt, dass das alles deutsches Territorium ist. Daher fand sie nen Ausweis nicht sooo wichtig (Opa Paul war scheinbar dement und nur sein Langzeitgedächtnis funktionierte noch).
Zurück im Sattel gings über Weißenburg – Climbach – Col de Pfaffenschlick – und von da an enden vorerst meine Streckenaufzeichnungen. Wir sind eben einfach drauf los gefahren und haben nur darauf geachtet, die Sonne tendenziell immer rechts von uns zu haben. Also immer Richtung Süd-Südwest. Schon ab Kilometer 95 hatte meine Melli durch zartes Tätscheln meines Helms zu verstehen gegeben, sie hätte ein wichtiges Bedürfnis. „Ja gleich“ war meine Antwort „wir haben gerade so ein‘ schönen Flow“. Bei Kilometer 125 erinnerte sie mich nochmal nett und boxte mir in die Nieren. Das Boxen erweckte nun auch bei mir einen gewissen Harndrang und so signalisierte ich den anderen, dass ich mal kurz raus müsste.
1984OLDMIXSCAN_B02.JPG
Keiner wusste eigentlich, wo wir gerade genau waren. Das Letzte Schild mit eingängigem Ortsnamen war das von Niederbronn. Also Karte vorerst nutzlos, wenn man nicht weiß, wo man gerade ist. Als grobes Ziel wurde vereinbart, immer dort wo die Nasenspitze hinzeigt, Hauptsache es geht weiter nach S, wo dann irgendwo Col de la Schlucht den Umkehrpunkt für uns bedeuten würde. Wie sich im weiteren Verlauf der Fahrt herausstellte, waren wir unweit von Zinswiller und Frank ging plötzlich in die Eisen. „Hey Leutz, da war ich schon mal, geile Strecke Richtung Baerenthal, müssen wir unbedingt mitnehmen“. Er beschrieb uns die zu erwartende Strecke, durch dichten Wald der Nordvogesen mit Kurven in allen Variationen und immer wieder Wechsel zwischen Steigung und Gefälle. „Nach drei Minuten seid ihr auf’m Trip“ sagte er. Nun denn, wir rollten an und hörten am schrillen deng’deng‘deng, dass Andi schon kräftig am Anfeuern war. Er gab uns zu verstehen, dass er ein Rennen gegen sich selbst fahren wollte, fuchtelte mit dem Arm herum und schrie sowas wie „ich warte da oben irgendwo auf euch“. Dann verschwand er in einer blauen Wolke Bel Ray Öl. Wir folgten in moderatem Tempo, um Klopfgeräusche am Helm und Nierenboxen zu vermeiden.

Andi war dann anders, als erwartet in Baerenthal nirgends zu sehen. Dem Geruch nach zu urteilen hatte er den Ort ohne anzuhalten durchflogen und sich gleich noch die Strecke nach Mutterhausen vorgenommen. Wir folgten, doch auch dort fanden wir ihn nicht und waren nun unschlüssig, ob wir weiterfahren sollten. Ein Eingeborener, der unser Zögern bemerkte gab uns mit der Scheibenwischergeste und ausgetrecktem Arm zu verstehen, dass Andi wohl in der angezeigten Richtung verschwunden war. In der Tat fanden wir dort tatsächlich seine Spur wieder. Nebelschwaden seiner RD zogen schwerfällig über die Teile der Strecke, wo Andi Minuten vorher rausbeschleunigt hatte. Ortseingang Lemberg, auf einem Parkplatz, stand er dann mit einer brennenden Zigarette im Mund und dem Deckel seines Ölbehälters in der Hand. „Sekunde noch, muss nur sehen ob da noch was drin ist“. Ich hätte wetten können, dass Ding ist leer, schließlich war ein Großteil von dem Öl nun in unseren Lungen. Horst meinte sogar seinen Atem in blau-grau sehen zu können. Seit Andi an seiner Öldosierung rumgeschraubt hatte war jegliche Einstellung der Pumpe immer voll auf oder voll zu – er entschied sich für voll auf und ignorierte gewöhnlich unser Mobbing wegen des Qualms.

Kirsten stieg von Franks Z400, „mir is nich gut“ hörten wir sie sagen. „Frank,…sag dem Andi er soll ab jetzt hinten fahren“. Das was sie sagte hörte sich aber an wie „wenn der weiter so stinkt fahr ich nie mehr mit und überhaupt – das ist doch giftig und wenn das so weiter geht lass die nächsten Wochen ja die Finger weg von mir“. Zustimmung der anderen Mädels. Das zeigte augenblicklich Wirkung, auch bei Andi und ehe Frank den Mund aufmachen konnte, gelobte Andi von nun an hinten fahren zu wollen. Die Situation war vorerst bereinigt.
Es war mittlerweile Nachmittag geworden, ein gutes Stück Fahrt lag noch vor uns und daher fuhren wir ab hier wieder zielgerichtet nach Karte. Von Lemberg ging es nun zügig in Richtung Gérardmer. Entlang der schmalen Landstraßen, die dort immer aussehen, als wären sie mit Rollsplit bestreut. Anfangs traut man sich da kaum Gas zu geben aber das Zeugs ist fest und bietet erstaunlich viel Grip. Einige von euch kennen bestimmt diese Gegend und können es bestätigen. Verkehr gibt’s dort auch kaum, die Elsässer hocken nur wenn unbedingt nötig in ihren Blechbüchsen.

Ich muss jetzt das Szenario etwas abkürzen und wieder einige Dinge überspringen, um zum Wesentlichen zu kommen. Also, nach weiteren Stunden glücklicher Fahrt durch die Vogesen kamen wir kurz vor der Dämmerung in Gérardmer an. Wir wussten, jetzt wird es Zeit ein Nachtlager zu suchen, am nächsten Morgen wollten wir dann den Katzensprung zum Col de la Schlucht und die Abfahrt in die Rheinebene machen. Irgendwie hatte sich im Laufe des Tages der Mai entschlossen das große Licht mit Vorhängen zuzuziehen und es war etwas kälter geworden. Die Vogesen sind eh immer etwas kälter und oft feucht, aber so wie es aussah stand tatsächlich ein Wetterumschwung an.

Fünf Sekunden überlegten wir ein Nachtlager mit Dach über dem Kopf zu mieten, aber ein Check unserer Liquidität veranlasste uns zur Entscheidung für Open Air.
Proteste von Michi und Melli, die gerade vom Pinkeln zurück waren und von Eiszapfen am Hinterteil berichteten. Horst sagte das träfe sich gut, er bräuchte später nämlich Eis für seinen Jackie-Kola. Eigentlich hatten sie recht, es hatte gerade mal noch ungefähr 12 Grad, doch die Aussicht auf ein wärmendes Feuerchen in der freien Natur stimmte alle versöhnlich. So kam es, dass wir die D67 nach Südost fuhren und Ausschau nach einem geeigneten Schlafplatz hielten. Zwei km hinter Gérardmer befindet sich ein kleiner Tunnel der zur alten, stillgelegten Strecke gehört. Dort bogen wir in die Pampa ab. Ein schönes schwer einzusehendes Lagerplätzchen, gerade noch so mit den Töffs zu erreichen.
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Wir packten unsere paar Sachen aus und jeder suchte sich einen möglichst ebenen und trockenen Platz für die Isomatte. Ein kleines Feuerchen knisterte auch schon vor sich hin und eingewickelt in die Schlafsäcke löffelten wir Ravioli aus der Dose. Helle teilte mit uns ne große Salami vom Aldi, doch wie schon gesagt, teilte er die besagten Snickers nicht mit uns (er hat sie alle selber gefressen der Sack – bis auf einen… he, he aber dazu später). Sagen wir mal so, wir waren erstmal versorgt, Andi steckte ne Kassette ins Radio und alle hatten Hoffnung auf schönes Wetter für den nächsten Tag. Begründet war die Hoffnung wegen zwei eindeutig blauen Flecken am Himmel, die die Wolken ausnahmsweise frei gelassen hatten. Trotz Kälte waren wir ganz guter Dinge und sprachen noch bis in die Nacht von der bisherigen Tour. Die Natur war wunderschön und das Rauschen der Blätter in den Baumkronen wurde nur durch das Zähneklappern der Mädels gestört. Sonst wars eigentlich fast perfekt. Nach der Vernichtung von einigem alkoholischen Ballast schliefen wir dann irgendwann leicht benebelt ein.
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Es war ca. drei Uhr nachts als zunächst einzelne Regentropfen fielen. Einfach ignorieren dachte ich, morgen wird’s schön. Da hörte ich auch schon Melli, die sich dicht an mich gedrückt hatte. Folgende Dialoge kann ich nur noch Sinngemäß nacherzählen - Melli: „Eric,…ist das Regen“ ich: „nein, das ist Helle, der ist besoffen und pinkelt gegen den Wind, schlaf einfach weiter“ - Melli: „ich hab doch noch gar nicht geschlafen, ich frier so“ - Michi drei Meter entfernt: „war ne blöde Idee, wär ich nur Zuhause geblieben“ - Kirsten: „Nie mehr kriegt ihr mich auf sowas mit, die anderen Mädchen sind jetzt im Club und trinken Sekt“. Inzwischen war leugnen des schlechten Wetters keine Lösung mehr. Es regnete nun richtig und der Wind zeugte davon, dass da noch mehr kommen wird.
Jetzt wo hin, die Baufolie aufhängen und ein Notzelt bauen wäre eine Möglichkeit gewesen. Aber Jemand meinte lasst uns oben in den alten Tunnel, da ist trocken. Jep, gute Idee – die sieben Sachen gepackt und alles im Tunneleingang platziert. Tunnel ist eigentlich zu viel gesagt, das Ding war grob in den Fels gehauen, ca. 4 Meter breit und 30 Meter lang. Die Mopeds holten wir auch ins Trockene. Im Tunnel war mindestens Windstärke 8, voller Durchzug eben, grauenhaft. Es war zwar trocken aber der Wind blies uns die letzte Wärme aus den Klamotten. Die Mädels lagen zusammengerollt auf den Isomatten und suchten Windschutz hinter unseren aufgestapelten Gepäckstücken. Wir Kerle fühlten uns schuldig und lehnten grübelnd an der Wand.
Jeder versuchte sich warm zu halten, an Schlaf war überhaupt nicht mehr zu denken. Irgendwann am frühen Morgen stand Frank vorne am Tunneleingang. Er schaute nach oben, um eine Wetterprognose zu stellen und kam zur Überzeugung, dass es eher noch schlimmer als besser würde. Ich verleugnete diese Erkenntnis und hatte noch immer Hoffnung. Es kam aber wie befürchtet, die Wettersituation war nun tatsächlich absolut unterirdisch. Es regnete Bindfäden, die Wolken hingen knapp über der Straße und wir hatten höchstens drei Grad plus. Es war nun etwa 8 Uhr und vereinzelt kamen Autos die Straße entlang. An der aufsteigenden Gischt sah man was uns da draußen erwartet. Kein Regenkombi, keine gescheiten Stiefel, rutschige Straßen mit Sozia, kaum Sicht, alles zum heulen und 200 km weg von Zuhause, whääää …. mi mi mi.

Dann kam der Moment als Frank sagte „Kommt Leute, aufsatteln wir fahr’n – besser wird’s nimmer“. Wie konnte dieser Kerl voller Elan so eine Ansage machen? Die Reaktionen waren sehr verhalten. Ich zumindest hatte ja bereits beschlossen hier einfach auf mein Ende zu warten. Ich sagte „ich bleib hier“, Frank: „wie du bleibst hier“ Ich: „ja so eben, bitte wenn du daheim angekommen bist, sag meinen Eltern, dass ich sie liebe und dass es mir leidtut, dass ich Papa damals den Sprit aus der Kreidler abgesaugt habe“. Aber Frank ließ nicht locker, „los, spinn nicht rum, es wird immer schlimmer“. Draußen fuhr gerade ein Reisebus mit Rentnern vorbei. Eingekuschelt in ihre kürzlich erworbenen Rheumadecken saßen die da drinnen, schön warm bei sanften Klängen von Vivaldi. Ich könnte mich ja auf die Straße legen und den nächsten Bus zum Anhalten zwingen, dachte ich. Da kann ich nur gewinnen, entweder er hält an oder ich hab die Scheiße hinter mir. Mir war alles egal, aber Melli schaffte es dann tatsächlich mich aus dem Selbstmitleid zu holen. „Los, komm schon - der Frank hat recht und ich will heim“.

Na gut, wir verteilten die mitgebrachten Müllsäcke, um einige Dinge wasserdicht zu machen und packten die Böcke. Andi baute gerade sein letztes Rücklichtbirnchen in die RD und dann nahmen wir Aufstellung zur Abfahrt. Sicht hatten wir maximal 50 Meter, eher weniger. Nach fünf Kilometern war ich patschnass und bildete eine verkrampfte Einheit mit meiner GPZ. Jede Änderung der Körperhaltung öffnete dem eingedrungenen Wasser neue Wege zu meinen empfindlichsten Stellen. Ich hoffte durch die Bewegung meiner Zunge und durch telekinetische Energie eine Gewichtsverlagerung zu erzeugen, die ausreichte, um die nächste Kurve einzuleiten – Fehlschlag, die Lenkerkorrektur öffnete dem angestauten Wasser oberhalb des Kragens einen Weg zu meinen Achseln zu finden. Frank der Brillenträger unter uns hatte die Wahl, mit beschlagener Brille unter dem nassen Visier plus Nebel nichts zu sehen, oder ohne Brille (3,5 Dioptrien kurzsichtig) noch weniger als nichts. Andi meinte beim ersten Halt, Horst sollte hinter ihm fahren, da könnte er doch wenigstens nach Geruch navigieren. Michi war allerdings strikt dagegen. So kam es, dass wir den schönsten Teil der Strecke über den Pass Col de la Schlucht völlig durchnässt, durchgefroren und ohne Sicht auf die geile Strecke hinter uns brachten. Der einzige Pluspunkt war, je tiefer wir runter kamen, desto wärmer wurde es und die Sicht wurde auch besser.

Jetzt ist es ja so, dass unser Heimweg über Colmar nach Straßburg führte. Da kam mir auf der D1083 die Idee mit dem Waschsalon. Ich überholte die Gruppe hinter Fegersheim und lotste sie mitten durchs Zentrum von Straßburg. So lange bis ich einen Laden für einsame Singles ohne Waschmaschine fand. Dort stoppte ich. Alle sahen mich fragend an und wollten wissen was los ist. Ich zeigte nur auf den Laden und mit etwas Verzögerung kam die Erkenntnis. Yea, da drinnen gibt’s Waschmaschinen mit Münzautomat, ,…dann muss es da auch Trockner geben!!!!! Stöckelsteifgefroren runter vom Bock, hinein in die wohltemperierte Bude.
Bild vorm Waschsalon
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Was jetzt kam wäre heutzutage als Video mit einer Million Likes in Instagram gelandet. Wir sicherten uns eine der begehrten Maschinen und zogen uns bis auf die Unterwäsche aus. Ja, auch die Mädels und die Kerle hatten alle ein breites Grinsen im Gesicht. Die nassen Klamotten landeten hinter der großen Luke. Ein paar Münzen starteten das Programm, die anlaufende Trommel zeigte den Beginn der Trocknungsphase an. Derweil wickelten wir die Mädels in Schlafsäcke die noch trocken geblieben waren. Ein Kaffeautomat an der Wand vollendete unser Glück und mit Resten von Helles Salami entstand sowas wie ein Frühstück.
Erst spät realisierten wir die drei jungen Franzosen, die vor ihrer Waschmaschine saßen und uns mit großen Augen zusahen. Nach Blickkontakt und französischer Grußformel kam es sogar zur spontanen Verbrüderung. Einer war scheinbar vorher beim Bäcker, sorry…Boulangerie und bot uns zum Automatenkaffee einfach so und ohne Gegenleistung zu erwarten, den kompletten Inhalt seiner Tüte an. Das war so genial, dass Michi ihm einfach einen Kuss auf die Wange drückte.

Tja da standen nun fünf alemannische „Motorradrocker“, in Unterhosen und barfuß in den Stiefeln, nebst der in Schlafsäcke gewickelten Sozias und warteten im Waschsalon auf ihre Wäsche. Das muss wohl auch einigen Passanten aufgefallen sein, denn draußen am großen Schaufenster drückten sich einige die Nasen platt und lachten über die gebotene Szene. Vor dem Laden standen unsere versifften Mühlen und das tropfende Gepäck hatte bereits Pfützen gebildet.
Für Helle nahm das aber noch ein recht peinliches Ende. Ich hatte ja zu Beginn schon von seinen Snickers erzählt. Einer war übriggeblieben und den hatte er sich schon vor der Aktion mit dem Tunnel in die Arschtasche seiner Jeans gesteckt. Bei 37 Grad, ausreichendem Druck und einer gewissen Zeit schmolz der Schokoladenanteil des Riegels und zeichnete ein nettes Muster auf seine einst weiße Unterhose. Gabi bemerkte das zuerst und reagierte mit einem „iiiiiiiee - Helle du hast Land in der Hose“. Helle war geschockt und nach einem schnellen Geruchstes versuchte er händeschwingend und stotternd zu erklären was das wirklich war. Der arme Kerl bekam einen spöttischen aber nicht ganz ernst gemeinten Shit-Storm ab und stand danach fast ne ganze Stunde verschämt mit dem Arsch an der Wand.

Nach einigermaßen erfolgreicher Dehydrierung unserer Klamotten, beschlossen wir ohne Umwege und unter Nutzung der Autobahn den restlichen Heimweg zu absolvieren. Außer dass der ein oder andere schwer mit Müdigkeit zu kämpfen hatte, schafften wir die Strecke unbeschadet. Kurz vor der Heimat hielten wir nochmals an, um uns für ein Resümee zu verabreden. Schon dort, das Ziel vor Augen, wurde gewaltig über das Erlebte gelacht. Auch heute noch, wenn man sich trifft heißt es „weißt du noch“ - denn diese Tour ist die, über die wir trotz der damaligen Widrigkeiten immer wieder lachen werden. Andere Touren die optimal liefen haben wir hingegen irgendwie vergessen.

PS: Aufgrund der der langen Zeitspanne die seitdem vergangen ist, sind mir zu dieser Story einige Abläufe nicht mehr ganz so gelungen bei der Nacherzählung. Doch ich denke das Wesentliche der Message konnte ich rüber bringen.
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BB55
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Re: Kurzstory – Der schlimmste Trip bleibt im Kopf

Beitrag von BB55 »

:respekt: Genau so war es früher :lachen1:
Plan und Hirnlos, aber es kamen die schönsten Motorradtouren heraus, über die wir damals nicht so lachen konnten :grinsen1:, dafür später umso mehr :lachen1:
Ganz toller Reisebericht, Eric .daumen-h1:
Gruss Benno

Ich rase nie, ich bin immer schnell unterwegs, bevor ich vergesse wo ich hin will :oldtimer:

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Dacapo
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Re: Kurzstory – Der schlimmste Trip bleibt im Kopf

Beitrag von Dacapo »

Super- hat Spaß gemacht zu lesen!
Beste Grüße
Dacapo

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Kathomen99
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Re: Kurzstory – Der schlimmste Trip bleibt im Kopf

Beitrag von Kathomen99 »

:shock: Ich bin erschüttert, daß es sowas wirklich gibt.

Nein, tatsächlich war das zu dieser Zeit anscheinend normal.
Wir sind damals zum Gardasee gefahren, ohne Landkarte, weil da finden wir auch so hin.
Am ersten Tag irgendwo in Südtirol im Gebüsch übernachtet.
Am nächsten Tag, nachmittags haben wir den See gefunden. Am (heute gefühlt) fünften Campingplatz wo man uns nicht reingelassen hat sagte man uns dann wenigstens wo der für "Rocker" wäre. Der war dann auch richtig abgerockt usw. usw.

Wie Eric auch schreibt, im Nachhinein sind das die schönsten Erinnerungen.
Gruß Konrad

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joho
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Re: Kurzstory – Der schlimmste Trip bleibt im Kopf

Beitrag von joho »

Danke dafür .daumen-h1: , so beginnt der Tag mit einem breiten Grinsen im Gesicht ;-)

Grüße Achim

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Palzwerk
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Re: Kurzstory – Der schlimmste Trip bleibt im Kopf

Beitrag von Palzwerk »

Nur geil, da hat wohl jeder irgendwie ein deja vu.
Gruß aus de Palz
Werner

...was annerschwu ä Blummewas des is bei uns ä Dubbeglas...

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Dind
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Re: Kurzstory – Der schlimmste Trip bleibt im Kopf

Beitrag von Dind »

Sehr schön geschrieben.....

Lindenbaum
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Re: Kurzstory – Der schlimmste Trip bleibt im Kopf

Beitrag von Lindenbaum »

Klasse!

Ich bin auf jeden Fall zutiefst beeindruckt dass du noch soviel im Gedächtnis hast.
Irgendwie hab ich anscheinend damals zu oft die Festplatte neu formatiert, viel Erinnerung hab ich nicht mehr an die wilde Zeit mitte der 80er.

Gruß, Michael

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DerSemmeL
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Re: Kurzstory – Der schlimmste Trip bleibt im Kopf

Beitrag von DerSemmeL »

So eine Geschichte hebt die "morgendliche" Laune sehr. Und zum Gedächtnis, solche eindrücklichen Erlebnisse spucken die grauen Zellen auch nach Jahrzehnten immer wieder aus.

Die Strecke, die ihr heim gefahren seid, über den Col de la Schlucht sind wir zu dritt mal "aus Versehen" mit dem Radl hochgefahren und haben dann dort oben übernachtet.

Freut mich, dass Du sie mit uns geteilt hast, Eric!

Danke und Gruß
vom SemmeL
Gruß vom SemmeL

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martin58
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Re: Kurzstory – Der schlimmste Trip bleibt im Kopf

Beitrag von martin58 »

1a!!
Nur geringfügig besser vorbereitet bin ich im Frühjahr 1990 mit einem Kumpel nach Südfrankreich aufgebrochen. "Ab März scheint da jeden Tag die Sonne, ein Zelt brauchen wir eigentlich nicht", war meine Ansage. Eher als Verlegenheitslösung hatte ich dann doch das 1,5 Mann Zelt von Aldi für 19,90 DM eingepackt. Als Regenklamotten musste es eine gummierte Nylon-Überhose sowie eine Felljacke als zweite Schicht über der Lederjacke tun. Dass es auch in Südfrankreich im März durchaus jeden Tag regnen kann (und jede Nacht sowieso), haben wir in den 10 Tagen unterwegs dann auf die harte Tour gelernt.
Lustig war auch der CB550 AME Fahrer, den wir unterwegs trafen. Der hatte glorioserweise seinen Schlafsack so bekloppt am Moped fixiert, dass das Teil durch die Reibung am Hinterrad in Brand geraten ist. Alle Versuche seiner Kumpels, ihn auf den brennenden Schlafsack hinzuweisen, hat er nicht verstanden sondern sie als Hinweis, er möge doch schneller fahren interpretiert.

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