Ich möchte Euch gern eine Geschichte erzählen
Verfasst: 14. Apr 2014
Ich war ja mal dabei, als Deutschland Weltmeister wurde. Teil des Teams, ich selber habe mich auch als Weltmeister gefühlt, war ja mittendrin und dabei. Ich habe das seinerzeit mal aufgeschrieben und es gab auch ein gedrucktes Magazin dazu und eine Version in meinem Heimatforum. Vielleicht gefällt es hier ja auch dem Einen oder Anderen, es ist ne Menge Stoff, ich bin halt ne Labertasche, aber lest es doch einfach mal durch.
Es beginnt am Morgen nach dem Rennwochenende in Harsewinkel, letzter Lauf zur Inter DM Supermoto. Am nächsten Wochenende fand das Supermoto of Nations in Bulgarien statt und ich hatte mich als Fahrer des Teamtrucks gemeldet. Im Jahr vorher hatte ich die Tour schon einmal gemacht und freute mich, diesmal wieder dabei sein zu können.
Die Plevenchronik
Fahrerlager Harsewinkel, Montag morgen: Ein Bild der Idylle. Einzelne Fahrzeuge stehen still herum, dazwischen wuseln mehr oder weniger lebendige Menschen umher und irgendwo riecht es nach Kaffee. Ich folge meiner Nase und finde den Quell der Erweckung. Wenig später muss ich mich verabschieden, mit dem T4 von Vierauge und eben diesem auf dem Beifahrersitz geht es nach Iserlohn. Der Kleine ist schweigsam, die Meisterfeier hat ihn geschafft und ich bin dankbar für die Ruhe, bin ja selber noch nicht ganz Herr meiner Sinne. Iserlohn liegt zum Glück beinahe um die Ecke und so erreichen wir das erste Etappenziel meiner Odyssee zeitnah. Vierauge versucht die Türe zu öffnen, das Sicherheitsschloss verweigert aber, wie sich später herausstellt aufgrund eines widerrechtlich hinein gekrabbelten und kläglich verendeten Insektes, den Dienst und so hocken wir vor der Tür bis der Teamchef und P. Eintreffen. Das Vierauge muss einbrechen, so ein filigran gestalteter Körper hat auch seine Vorteile. Nachdem wir das Domizil der Familie D. geentert haben,
gibt es Kaffee, Kaffee, Kaffee und dann machen wir uns daran, Sachen aus und wieder einzuladen, weil wir ja am nächsten Morgen aufbrechen wollen in Richtung Bulgarien. Das heißt, ich will aufbrechen, die anderen kommen dann via Luftpost nach. Als ich so an die Reise denke, frage ich nochmal nach meinem geplanten Beifahrer, der ja seit Tagen nicht erreichbar ist. Teamchef telefoniert und kommt leicht verwirrt zurück. „Nicht erreichbar!“
Naja, wird schon, wir laden munter weiter und irgendwann beginne ich mal damit, einen geforderten Bericht zum Saisonabschluss zu verfassen. Dabei stellt sich das tolle Thinkpad als recht empfindlich heraus, oder einfach nur als zickig. Ich bin inzwischen einigermaßen angefressen, das Ding tut's nicht richtig und die Sache mit dem unerreichbaren Beifahrer nervt zusätzlich. Das wird ein langer Abend, befürchte ich......................
Während ich mit dem Klapptopp kämpfe, telefoniert Tommy in der gesamten deutschen Motorsportszene herum, allerdings recht erfolglos. Bei einem zwischenzeitlichen Brainstorming hat P. Die Idee, im Forum einen Aufruf zu starten. Ich setze mich an den Rechner und schicke einen verzweifelten Hilferuf ins Netz. Es melden sich tatsächlich ein paar Verrückte, die aber leider nicht helfen können, obwohl sie es gerne tun würden. Die Sache ist doch recht kurzfristig, wer kann schon am Montagabend zusagen, dass er am Dienstag Morgen für 1,5 Wochen verreisen kann.
Dann kommt doch noch Bewegung in die Sache, Daniela hat einen Kandidaten und auch Tommy hat etwas erreicht. Mit dem beruhigenden Gefühl, zwei halbe Beifahrer zu haben, widme ich mich meiner Arbeit und sinke dann, nach einem Feierabendbierchen in den Schlaf. Der Dienstag Morgen fängt gut an, Danielas Kandidat hat abgesagt, vom anderen halben Beifahrer noch keine Nachricht. Mit langen Gesichtern trinken wir unseren Kaffee, Tommy sieht Scheisse aus, aber das liegt wohl an seiner Grippe. Im Zweifel werde ich alleine fahren und Tommy setzt sich auf den Beifahrersitz um das zu tun, was er am Besten kann: Reden. Damit kann er mich dann wach halten, wenn's gar nicht mehr geht, machen wir halt Pause und ich schlafe ein wenig. Mit seinem Terminatorbein kann Tommy eben nicht die Kupplung des LKW zuverlässig treten, deshalb ist es abwegig, ihn als Fahrer zu nehmen. Wir lassen uns aber nicht entmutigen, Vierauges T4 steht mit Anhänger fertig beladen zur Abfahrt bereit und wir warten auf den erlösenden Anruf.
Der Anruf kommt, Jean Pierre erklärt sich bereit zum Abenteuer SmoN. Der Mann ist belgischer Soldat im Dauerurlaub und wartet auf die Rente. Er hatte schon ein eigenes IDM Team und fährt immer noch LKW für die IDM, ist bei Hitachi beschäftigt und betreibt eine freie Werkstatt für Autos und Motorräder. Nachdem er alle Termine für die nächsten 1,5 Wochen verschoben hat, ist er bereit. P. Holt ihn am Mittag in Soest ab und endlich können wir starten. Mit dem T4 geht es nach Bensheim zu Suszuki, wo wir den LKW übernehmen sollen und Lars mit den Gerätschaften von Nico auf uns wartet. Wir kommen in Bensheim an, kein LKW, kein Lars!
Auf Nachfrage bei einer bezaubernden Fee in dem Gebäude bekommen wir die Antwort, dass Lars mit dem 7,5 Tonner mal eben in der Werkstatt ist, weil die Laderampe nicht auf ging.
Lars hat dann auch gleich mal Öl nachfüllen und einen schnellen Rundumblick auf den Truck werfen lassen. Wir machten uns ans Beladen, wobei sich Jean Pierre als Staumeister entpuppte. Zügig schaufelten wir alle möglichen Dinge in den Laderaum und er verstaute das Ganze so, dass nichts rauf- oder runter fallen konnte.
Die Reise ging weiter, wir programmierten den Autohof Irschbergen ins Navi und knallten mit wahnsinniger Geschwindigkeit über die Autobahn Richtung München, um Julians Rennzutaten aufzusammeln. Ab München würde uns die Reise dann via Österreich, Ungarn und Rumänien nach Bulgarien bringen, 2400km durch halb Europa. Da es ab Mitte Ungarn keine Autobahnen mehr gibt, planten wir mal eine etwas längere Fahrzeit ein, das Navi orakelte irgendwas von über 30 Stunden, die elektrische Dame sagte: „Der Transit dieser Strasse dauert sehr lange!“
Wir erreichten den Tankhof bei München gegen Mitternacht, Julian war schon da und wir machten uns gleich ans Umladen. Das war mein erster persönlicher Kontakt mit Julian, und ich quatschte erstmal ein bisschen mit ihm. Der Kerl war mir auf Anhieb sympathisch und ich freute mich darauf,
ihn im Einsatz zu erleben. Die Laderei war schnell erledigt, wir hatten ja schon Routine und J.P. machte seinen Job als Lademeister wieder mal perfekt. Nachdem alles verstaut war, enterten wir die Tankstelle und kippten uns einen grossen Kaffee zum Preis einer puertoricanischen Plantage in die Hälse. Dann schlugen wir nochmal zu, kauften eine Cola Raffinerie, literweise Flügelverleiher für J.P. und die Jahresproduktion der Firma, für die der Berufsjugendliche wirbt, der beim ZDF den Wettenkasper macht. So gewappnet wollten wir den Endspurt antreten, schlappe 1900 km durch die Dunkelheit lagen vor uns.
Ich übernahm das Steuer des Trucks und J.P. Machte es sich auf dem Beifahrerstuhl so bequem wie möglich, also gar nicht. Das Asphaltband glitt unter uns weg, wir näherten uns der Grenze zu Österreich und reisten dann unerkannt ein. Im Fahrzeug befand sich eine GoBox, das ist das simple Pendant zu den wahnsinnigen Apparaten, die man in Deutschland braucht, um den Wegezoll zu entrichten. Ich schnappte mir das Teil, um es an der ersten Tankstelle in Österreich aufladen zu lassen und den Inhalt unserer Reisekasse erstmals derbe zu schänden. Aber: „Surprise“, das Ding hatte noch reichlich Saft und ich musste nur ein bisschen was nachladen, um Hin- und Rückfahrt abzudecken. Ich wollte auch noch Euro in Schillinge tauschen, erntete aber nur böse Blicke, also rannte ich schnell aus dem Etablissement und rettete mich in den LKW. Starten, Gas geben und weg vom Ort des Geschehens, auf die Autobahn Richtung Ungarn, vorbei am hell erleuchteten Wien, dem man sich auf der Autobahn von oben nähert. Ein toller Anblick, ich habe extra nicht angehalten, um ein Bild davon zu schießen, wer es sehen will, soll selbst hinfahren.
Die Fahrt verlief weitgehend ruhig, die meisten Idioten, die sich sonst auf Straßen herumtreiben, waren wohl in irgendeinem Fußballstadion oder nahmen an den Koalitionsverhandlungen in Berlin teil. Auch an der Grenze nach Ungarn gab es keine besonderen Vorkommnisse, ich kaufte die Durchfahrtberechtigung und tauschte ein paar Euro zum Tanken in Forinth um, und schon ging es weiter. Jetzt begann die eigentliche Zeitreise, am Anfang ist in Ungarn noch alles so, wie man es als Mitteleuropäer gewohnt ist, Straßen, Beleuchtung, Bebauung. Je tiefer man jedoch in den ehemaligen Ostblock eindringt, umso schlechter werden die Straßen, die Autobahn hört irgendwann auf und es geht auf einer mittelprächtigen Straße weiter, die hierzulande nicht mal dem Status einer Bundesstraße entspricht. Die Beleuchtung nimmt ab, die Häuser werden kleiner, verfallener und schäbiger. Das Einzige, was unserem Standard entspricht, sind die Mengen an LKW, nur rollen sie dort auf einer miserablen Straße, aber in derselben Menge, wie sie es hier auf gut ausgebauten Autobahnen tun. Wir waren unterwegs auf der Transitroute von Deutschland nach Bulgarien und Griechenland, in einer endlosen Schlange aus LKW, die sich mit irrsinniger Geschwindigkeit durch Europa windet. Waren aller Art werden transportiert, unter anderem sah ich einen LKW, voll gepackt mit offenen, etwa 30x30x30cm kleinen Drahtkäfigen, in denen Truthähne saßen, den Kopf im Wind und unwissend, wohin die Reise geht.
An der Grenze zu Rumänien saß J.P. Wieder am Steuer, der Zöllner fragte, wohin wir wollen und was wir geladen haben. „Wir fahren nach Pleven in Bulgarien zur Supermoto Weltmeisterschaft und haben das Material für das deutsche Team geladen!“ „Habt Ihr Kappen dabei?“ kam es prompt und dann wollte er noch in den Laderaum sehen. Das Übliche also. 3 Minuten und zwei BMW Caps später rollten wir weiter, tauschten Euro in Lew oder Lei, lösten die Vignette und tauchten dann endgültig in die 50er Jahre ein.
An der ersten Tankstelle füllten wir den Tank bis zum Rand und wehrten uns vergeblich gegen einen aufstrebenden Jungunternehmer, der uns multilingual umschwärmte und eine Reinigung der Scheiben unseres Fahrzeugs anbot. Ich lehnte dies ab, woraufhin er einige Kostproben seiner Fähigkeiten abgab, allerdings nur halbherzig, wodurch die Sicht leicht erschwert wurde. Seine Kumpels umschlichen in der Zeit den LKW und lauerten auf was auch immer. Schließlich tauchte auch noch die hochschwangere Mutter auf und bat um einen Euro, aber wir ignorierten die Truppe einfach. Neben dem Reinigungskommando fanden sich auch noch einfache Bettler, diverse Hütchenspieler und Anbieter diverser hochwertiger Designeruhren- Hemden-Hosen-Jacken und Krokodillederschuhe auf dem Areal. Nach vollzogenem Tankvorgang ging ich zur Kasse, J.P. sicherte den Truck und danach ging es los. Es war inzwischen wieder hell, die Nacht lag hinter uns und viele Kilometer vor uns. Bisher lagen wir im Plan, ich hatte gehofft, Rumänien tagsüber durchqueren zu können und Pleven am späten Nachmittag zu erreichen. Die Straßen hatte ich in schlechter Erinnerung, bei Tageslicht sollte es leichter und schneller gehen. Der Nachteil war, dass tagsüber neben den LKW jede Menge anderer Leute die Straßen benutzen, unter anderem auch Radfahrer, Pferdewagen (die in wirklich großer Zahl genutzt werden) und Fußgänger, und dann gab es noch Bahnübergänge, die etwa 12 Minuten gesperrt werden, weil eine altersschwache E-Lok die Straße kreuzt. Während wir auf die Öffnung der Schranken warteten, wurde ich von einigen Bauarbeitern um Zigaretten angebettelt, obwohl diese selber welche hatten. „Deutschland alles Kapitalist!“ hörte ich nun schon zum zweiten Male, auch der Jungunternehmer mit seinem Car-Care-Service an der Tankstelle hatte dieses Klischee bemüht. Ich habe kurz überlegt, ob ich den Herren meine private finanzielle Situation näher erläutern soll, nahm aber davon Abstand. Erstens habe ich mit Sicherheit mehr als sie und zweitens ist mein Rumänisch miserabel.
Wir kämpften uns weiter durch die Karpaten und Transsilvanien, eine wahnsinnig schöne Landschaft und die gefährlichste Straße, die ich kenne. Wir kamen nur langsam vorwärts, ein Schnitt von etwa 40 km/h wurde vom Navi angezeigt, unsere Ankunftszeit verschob sich immer weiter nach hinten. Es dämmerte bereits und wir waren immer noch in Rumänien unterwegs. J.P. zeigte leichte Schwächen in der Nachtsicht und ich übernahm wieder das Steuer.
Sehr spät am Abend erreichten wir die Grenze und wurden von einer sehr resoluten Zöllnerin angehalten. Die Dame sprach weder deutsch noch englisch, gab mir aber zu verstehen, daß wir für den Transit über die Brücke einen geringen Obulus zu entrichten hätten. Ich erinnerte mich an das Jahr zuvor und die Tax für die Fähre und gab mich geschlagen. Ich entrichtete 18 Euro und bekam eine prima Quittung ausgestellt. Wir ließen uns vom Navi leiten und landeten prompt verkehrt herum in der Ausfahrt von der Zollstation. Bevor wir wenden konnten, schoß ein Zöllner auf uns zu und machte gleich Alarm. Wir sollten Papiere und Ausweise vorlegen, er komme gleich wieder. Ich war inzwischen ziemlich müde und genervt, wollte eigentlich nur schnell weiter, um möglichst bald am Ziel an zu kommen. Der Kerl kam wieder, redete auf deutsch zu uns und meinte, wir könnten die Brückennutzungsgebühr in Höhe von 150 € bei ihm direkt entrichten, er würde uns dann den Weg durch die LKW Schlange bahnen. Den Einwand, dass wir bereits bezahlt hätten, tat er ab mit der Bemerkung, das sei nur der Transit zur Brücke gewesen. Ich hatte keine Lust auf Streit, war zu müde und kenne auch die Bestimmungen des rumänischen Grenzwesens nicht wirklich auswendig, also drückte ich ihm 150 € in die Hand und er ging mit dem Hinweis, die Quittung gleich zu bringen. Auf seinem Weg kontrollierte er noch die Frachtpapiere einiger LKW, dann war er aus meinem Blickfeld verschwunden. J.P. knurrte vor sich hin: „Den siehst Du nicht wieder!“, ich war angefressen genug um ihm eine entsprechende Antwort zu geben und so füllte sich das Führerhaus mit eisigem Schweigen.
Meine Nachfrage bei den anderen Zöllnern nach dem Kollegen wurde mit einem Schulterzucken, verborgenem Grinsen und dem Hinweis auf die Polizei abgetan.
Wir setzten die Reise fort, kurz vor der Brücke war die letzte Station, der Kollege in Uniform forderte 12 Euro Benutzungsgebühr. Ich knallte ihm die Quittung auf die Theke und er wurde ungemütlich. In astreinem Rumänisch bellte er mich an, stand von seinem bequemen Sessel auf, strich seine Paradeuniform glatt und wuchs um satte 20 Zentimeter. Seine Kollegen kamen dann auch gleich mal ums Eck und gesellten sich unauffällig dazu. Ich warf ihm die 12 Euro vor die Füße und stieg in den Truck, um endlich aus diesem vermaledeiten Land zu entkommen. Niemand stellte sich uns in den Weg, wir passierten die Brücke, die ich soeben gekauft hatte und erreichten Bulgarien. Dort ging es problemlos durch den Zoll, wir kauften eine Vignette, tankten den Laster und bezahlten mit Euro.
An der nächsten Tankstelle hielten wir noch einmal an, uns war klar geworden, daß wir unser Ziel zu unchristlicher Zeit erreichen würden und garantiert nichts mehr zu trinken bekämen. Mit einem SixPack bewaffnet brachten wir die letzten paar hundert Kilometer hinter uns, zwischenzeitlich kämpfte ich gegen den Sekundenschlaf, hatte gar Halluzinationen. Neben mir saß nicht mehr J.P. sondern Hellnut und ich beschwerte mich bei ihm über meinen Beifahrer, der alles besser wusste, aber auch nix verhindert hatte.
Irgendwann, ich weiß wirklich nicht mehr wann, erreichten wir den Militärflugplatz bei Pleven, auf dem die grandiose Piste angelegt ist und hatten Glück, daß das Einfahrtstor noch weit offen stand. Ich parkte den LKW im Fahrerlager, riss mir ein Bier auf und bimmelte Tommy aus dem Bett.
Als der Teamchef dann später eintraf, hatte ich zwei Bierchen intus und war komplett neben der Spur. Wir fuhren ins Hotel, bekamen den Zimmerschlüssel und fielen einfach nur noch in unsere Betten, unfähig, irgendetwas zu denken oder zu tun. Ich war zu diesem Zeitpunkt seit 44 Stunden wach und hatte in der Zeit 28 Stunden lang den LKW gelenkt, die letzten 20 Stunden am Stück.....................
Um halb zwei wurde ich wach und verspürte Hunger, Weingummi sättigt eben nicht nachhaltig, also schleppte ich meinen müden Körper unter die Dusche und machte mich schön. OK, ich machte mich sauber und hüllte mich in frische Textilien. J.P. war nicht im Zimmer, ich erinnerte mich daran, dass er etwas früher schon aufgewacht war, also beschloss ich, mal im Hotel nach zu sehen, ob ich ihn finden könne. Vielleicht hatte er schon Erfahrungen mit dem Restaurant gemacht und hätte einen Tipp für mich, wie man an etwas essbares kommt. Immer noch ziemlich müde schleppte ich mich in die Lobby, sah dort niemanden und schaute in das Restaurant. Auch dort herrschte eine ähnliche Leere wie in meinem Magen und so stapfte ich in die Bar, wo ich einen Kaffee ergatterte. Die Frage, ob groß oder klein beantwortete ich mit einem überzeugten „Groß“, was zur Folge hatte, dass ich einen Fingerhut bekam, gefüllt mit einer teerartigen Masse. Mit viel Milch und Zucker brachte ich das Gebräu in einen Zustand, der zum Verzehr geeignet schien und verzog mich damit auf die sonnenüberflutete Terrasse. Die Wärme machte sich in mir breit und linderte die Schmerzen in meinem von der langen Reise geschändeten Körper. Der sogenannte Kaffee hatte auch gute Auswirkungen auf mein Befinden und ich ging zurück in mein Zimmer, um mal die ganzen Quittungen zu sortieren, die ich während der Fahrt gesammelt hatte. Für die gekaufte Brücke hatte ich leider keinen Nachweis, ich muss das dann mal mit dem rumänischen Verkehrsministerium klären.
Ich war gerade mit der Buchhaltung fertig, als J.P kam und wir hockten uns wieder auf die Terrasse um ein Bierchen zu schlürfen, während wir auf den Rest des Teams warteten. Die Nahrungsaufnahme hatte ich bis auf Weiteres verschoben und mich der Askese hingegeben. Bier macht ja auch satt. Als die Sonne langsam tiefer sank, kühlte es auch recht schnell ab, wir hüllten uns erst in wärmere Gewänder und traten dann den Rückzug in die Hotelbar an. Leicht verwirrt nahmen wir zur Kenntnis, dass wir dort kein Bier mehr bekommen könnten, aber die junge Dame erklärte sich bereit, im Restaurant um Nachschub anzufragen. Bierknappheit war nun ein Szenario, dass nur schwer zu akzeptieren war, ich war einigermaßen erstaunt. Im Zweifel würde ich mir im örtlichen Supermarkt einen Vorrat besorgen müssen, nach der harten Arbeit draußen an der Strecke haben sich fleißige Helfer, Mechaniker und Teamchefs doch eine kleine Erfrischung verdient. Es kam aber nicht zum Schlimmsten, das Restaurant war zumindest mit Bier gut bestückt, wie wir im Laufe der Woche noch herausfinden sollten.
Als wir uns so in der Bar herum flegelten, kam auch der Rest des Teams endlich ins Hotel. Tommy hatte die drei Fahrer sowie deren Mechaniker im Schlepptau und eine große Begrüßungsszene fand statt. Nico hatte Sascha dabei, Jan seinen Wesi und für Julian hatte man Uetze verpflichtet, der normalerweise bei WüPa sein Unwesen treibt und dort neben den Motorrädern vom „Sportfahrer und der Sportfahrerin“ (O-Ton Uetze!) auch noch irgendwelche Pferde versorgt, Waschstraßen aufbaut und sonst noch allerlei Arbeiten erledigt. Nachdem die Horde ihre Gerätschaften auf den Zimmern versorgt hatte, begaben wir uns in das Restaurant um fürstlich zu dinieren und noch ein paar Bierchen zu schnappen. Die Racer hatten für den Abend Ausgang bekommen und verabschiedeten sich gleich nach der Mahlzeit mit Wesi und Sascha in die Stadt, J.P. begleitete die Truppe und ich blieb mit Tommy und Uetze zurück, um diverse Biersorten zu testen, das Angebot war vielfältig, aber von keiner der angebotenen Marken war genug vorhanden, um ihr treu bleiben zu können. Wir tranken und redeten also durcheinander und amüsierten uns prächtig. Die Vernunft trieb uns aber irgendwann ins Bett, uns war klar, dass die Woche lang und hart werden würde.
Für den Freitag war harte Arbeit angesagt, die Residenz im Fahrerlager musste aufgebaut werden, die Bikes sollten zur Abnahme, eine Streckenbesichtigung stand an und nicht zuletzt galt es, durch selbstbewusstes Auftreten die Konkurrenz zu verwirren. Wir trafen uns nach und nach im Restaurant zum Frühstück. Frühstück ist so ein Thema, das sich durch diese Chronik ebenso ziehen wird wie das Abendessen. Das liegt aber nicht an unserem unmäßigen Appetit, sondern an dem etwas - sagen wir ungewöhnlichen - Verhältnis des Restaurant Personals zum Thema Dienstleistung, Gastfreundschaft oder einfach Arbeitsmoral. Ein Frühstücksbuffet war aufgebaut, es gab Toast, der bereits früh am Morgen getoastet worden sein musste und nun vor sich hin litt, verschiedene Marmeladen, Wurst, Käse und entweder frisches Obst oder Kuchen vom Vortag. Zusätzlich gab es Rührei und, wohl als Bacon Ersatz, gebratene Brühwurststücke, beides in einer dieser Schalen, die zum Warmhalten von Speisen dienen, wenn eine Wärmequelle darunter steht. Wenn........
Ähnlich verhielt es sich mit dem Kaffee. Dieser befand sich in einer beheizbaren Kanne, leider war der Stecker nicht eingesteckt, am Freitag fehlte gar das komplette Kabel. Der Kaffee war dementsprechend: für schnelle Frühstücker geeignet, weil man ihn einfach so runterkippen konnte. Ich nahm trotzdem zwei Tassen von der Brühe um mir die Zeit zu vertreiben, bis auch die anderen bereit waren aufzubrechen. Wir hatten ja in unserem reichhaltigen Reisegepäck eine Kaffeemaschine, Kaffeepulver, Filtertüten, Zucker und Kondensmilch. Der Gedanke daran ließ mich durchhalten und ich knabberte ein bisschen an einer kalten, in der Konsistenz an Schaumstoff erinnernden Toastscheibe herum, auf die ich etwas gelegt hatte, das wie Schinken aussah.
Im Fahrerlager angekommen, parkten wir schnell den Truck ein paar Zentimeter um, schließlich gelten strenge Regeln und die Flucht der Vorzelte muss eingehalten werden. Dann räumten wir alles aus und begannen damit, das riesige Vorzelt, das zum LKW gehört, aufzubauen. Keiner von uns hatte so ein Zelt schon einmal aufgebaut, aber J.P. übernahm das Kommando und so schafften wir es, das Puzzle aus Stangen so zusammen zu setzen, das man die Plane anschließend passgenau darüber ziehen konnte. Dann bauten wir noch zwei Pavillons rechts davon auf und zwei weitere links. Die Pavillions auf der rechten Seite schlossen wir mit Seitenwänden, so dass dort eine Zone entstand, in die man sich zurück ziehen und den Blicken der zu erwartenden Zuschauermassen ausweichen konnte, die anderen Pavillions blieben für Blicke offen, dort sollten die Reserve Bikes parken. Endlich konnte ich mich um den Kaffee kümmern, die anderen legten noch den Plastikboden im Vorzelt aus und brachten an der Stirnseite die schicken Banner an, auf denen groß „Team Germany“ stand, damit wir auch leicht zu erkennen waren. Der Platz, den man uns zugewiesen hatte, war übrigens sehr prominent, direkt am Eingang zum Fahrerlager. Wer hereinkam, kam an Germany nicht vorbei! Hatte Foxy, der Paddockchef von Youthstream etwa seherische Fähigkeiten?
Der Kaffee war durch und jeder freute sich darüber, wir gönnten uns eine kurze Pause, bevor es weiterging mit dem Aufbau. Die Bikes mussten ja auch noch hergerichtet werden, das Dekor musste geklebt werden, Ölwechsel standen noch an und Reifen mussten aufgezogen werden. Während alle irgendwie rege umher liefen und irgendwas irgendwohin stellten, trugen oder schoben, kümmerte ich mich um die Verpflegung, schließlich war ich ja als Hospitality Manager gebucht. Eine kräftige Hühnersuppe schien mir passend für diesen Tag, die Männer brauchten Kraft und niemand musste mehr sportlich tätig werden, es durfte also ruhig etwas deftiger werden. Für die beiden Renntage hatte ich Pasta geplant, heute durften wir noch einmal sündigen. Ich öffnete also die 5 Dosen Hühnernudeltopf, die in der großen Verpflegungskiste über 2400km hierher gereist waren, schüttete sie in den großen Topf und erhitze das Festmahl auf unserem Zweiplattenherd.
Nachdem alle gegessen hatten, die Motorräder vorbereitet und unsere Residenz fertig gestellt war, fuhren unsere „Sportfahrer“ zur technischen Abnahme. Tommy hatte bereits den ganzen Papierkram und die erste Order beim Dunlop Service erledigt. Zur Abnahme ging ich mit, die Kamera im Anschlag. Die Geräuschkontrolle verlief zufriedenstellend und auch sonst hatten die technischen Kommissare keinerlei Einwände gegen den Einsatz der Arbeitsgeräte. Einzige Überraschung war das Gewicht von Nico's Berg. Das Ding bringt doch tatsächlich stramme 125 kg auf die Waage, vernünftig betankt wuchtet der kleine Grieche also 130 kg um den Kurs.
Nach der Abnahme drehte ich mit den drei jungen Helden noch eine Runde um den Track und machte weitere Bilder. Julian ging mehrmals zu Boden, um die Bodenwellen in den schnellen Kurven hautnah in Augenschein zu nehmen und freute sich darüber, wie „broat“ die Strecke ist.
Nach dem Spaziergang packten wir alles wieder ein und fuhren zurück ins Hotel. An einer Tankstelle deckten wir uns mit Zigaretten, Benzin und Getränken ein (zu Preisen, die hiesige Supermärkte nicht unterbieten können). Glücklich im Hotel angekommen, (glücklich, weil Jan das Steuer übernommen und auch eigene „Musik“ dabei hatte) verabredeten wir uns dann für das Abendessen im Restaurant. Eine Fahrt in die Stadt, um dort zu essen, hatten wir nach kurzer Beratung ausgeschlossen, im Hotel zu essen, war einfacher und bequemer. Julian hatte seinen Zimmerschlüssel im Fahrerlager vergessen und ich verhandelte mit der Portieuse um die Herausgabe des Reserveschlüssels. Dies gestaltete sich schwierig, weil sie kein Deutsch, ich kein Bulgarisch und wir beide nicht wirklich Englisch sprachen. Mit einer Mischung aus Englisch und Karate machte ich aber klar, worum es ging, knallte ihr meinen besten Augenaufschlag hin und so bekam Julian dann den Schlüssel.
Im Restaurant kämpften wir dann auch wieder mit gewissen Sprachbarrieren, aber der Oberkellner, welcher eine gewisse Ähnlichkeit in Mimik und Gestik zu Freddie Frinton aufwies, sprach etwas französisch und so konnte Tommy mit ihm kommunizieren. Damit hatte der Bursche sicher nicht gerechnet, sonst hätte er diese Fähigkeit bestimmt verheimlicht.
Die drei Musketiere gingen früh zu Bett, wir Teamchefs, Mechaniker, Lademeister und Hospitalitymanager tranken uns wieder durch das reichhaltige Angebot an Biersorten und beredeten die Taktik für das Wochenende und tauschten Schwänke aus unserer Jugend aus.
Samstag. Der erste Tag, an dem es wirklich Ernst werden sollte. Treffen wie gehabt im Restaurant, ich war so ziemlich der Erste und genoss wie am Vortag lauwarmen Kaffee, zähen Toast und geeistes Rührei. Heute gab es außerdem Gurken - und Tomatenscheiben, ich gönnte mir eine Überdosis Vitamine. Vesi schlug vor, abends ein Paar Reifenwärmer mitzunehmen, um damit am nächsten Morgen die Kaffeevereisungsmaschine zu pimpen. Die Idee wurde lachend angenommen und weitere Diskussionen um das Frühstück und die daraus resultierenden Möglichkeiten folgten. Die Truppe war munter und heiter, gute Voraussetzungen für einen erfolgreichen Tag. Julian hatte schon einen lockeren Waldlauf hinter sich, Nico war ausgeschlafen und fröhlich, nur Jan kam wie immer als Letzter und mit halb geschlossenen Augen angeschlurft, was mich in die Situation brachte, den Vito durch Pleven zu steuern. Von den Sportfahrern auf den billigen Plätzen hinter mir bekam ich permanent Tipps, wie man Schwellen umsteuert, wo Polizeiposten stehen und wie schnell man welche Kurve nehmen kann. Ich überlegte kurz, ob ich den Jungs erzählen sollte, dass ich bereits einen Führerschein hatte, als sie noch Holzwolle aus dem Teddy gepuhlt haben, oder von meinem Donut mit dem Omega berichten sollte, ließ das aber lieber sein, frustrierte Sportfahrer neigen nicht zu Höchstleistungen. Wir brauchten marginal länger für die Fahrt zur Strecke als am Tag zuvor, verbrauchten dafür aber nur einen Bruchteil des Treibstoffs und mussten keinerlei Gebühren an irgendwelche Polizisten entrichten. Um sein Leben hatte auch niemand fürchten müssen, aber das ist zweitrangig. Im Fahrerlager angekommen, kümmerte ich mich um die Kaffeemaschine, die anderen erledigten so nebensächliche Dinge wie Motorräder ausladen, Reifenwärmer aufziehen und Schutzkleidung bereit legen. Es war frisch, aber die Sonne grinste schon fett vom Himmel herab, es versprach, warm zu werden. Für heute standen ein freies Training, das Zeittraining und zum Abschluss die entscheidenden Qualifying Races auf dem Zettel und die Jungs waren entsprechend nervös. Jan und Nico kannten die Strecke ja schon aus dem Vorjahr, für Julian sollte es das „Erste Mal“ sein, man merkte ihm aber nicht viel an.
Ich entschied mich für die Paste mit Tomatensauce, was etwas mehr Vorbereitung erforderte und machte mich an die Herstellung der Tomatensauce. Ein paar Gewürze wären schön gewesen, ich fand aber noch nicht einmal Salz in den vielen Hospitality Kisten, nächstes Jahr werde ich Mami D. beim Einkaufen begleiten. Für die Nudeln würde ich aber Salz brauchen, also schickte ich jemanden los, bei Vorli nachzufragen. Die Tomatensauce bestand also aus passierten Tomaten und einer prima Fertigsauce al Arrabiata. Die Pampe köchelte vor sich hin, Nudeln wollte ich später erst machen, die Jungs waren jetzt im halbstunden Takt auf dem Track, einen Zeitpunkt für's Essen zu finden, war schwierig.
Im freien Training schlugen die Burschen sich schon mal gut, kamen prima mit dem Track zurecht und brachten gute Zeiten mit. Nach dem freien Training ging die Diskussion um die Reifen los, ich klinkte mich aus und wurde im Pressecenter vorstellig, um mir einen Platz im Netz zu sichern und ein bisschen mit Daniele zu plaudern, dem Pressekoordinator von Youthstream, den ich nun schon bei einigen Veranstaltungen getroffen habe und der ein netter Kerl ist.
Dann machte ich mich daran, Nudeln zu kochen. Der Strom in Bulgarien ist wohl eher schwach, die paar Liter Wasser benötigten eine gute Stunde, um heiß zu werden. Die ersten maulten schon rum, ich befürchtete eine Meuterei und stellte schnell Brot und Käse, sowie etwas Wurst und Weingummi bereit. Die quengeligen Stimmen verstummten und schon ging es los mit dem Zeittraining, jetzt wollte sowieso keiner mehr essen, alle standen an der Strecke und fieberten mit. Noch mal Glück gehabt, dachte ich bei mir und feuerte den Kocher an. Der Erfolg ließ nicht lange auf sich warten, das Wasser kochte und die Nudeln mussten dran glauben. Drei Wochen später waren sie dann auch so weich gekocht, dass man sie getrost als al Dente einstufen konnte und ich stellte sie warm. Jetzt konnte jeder, der wirklich wollte, etwas essen. Ich wollte.
Die anderen langten auch zu, jeder so, wie er gerade Zeit fand und alle wurden satt. Es gab ja auch noch Weingummi.
Die Zeittrainings waren gut verlaufen, Julian stand auf Platz 3, Nico wurde in der S2 Siebter und Jan schaffte Platz 4 in der Open. Nico war unzufrieden, wir konnten ihn aber aufbauen, schließlich war er in der stärksten Klasse unterwegs und seine Zeit war wirklich gut. Er klagte über eine nachlassende Bremse und Sascha machte sich daran, das Ding noch einmal sauber zu entlüften.
Inzwischen war es soweit, das erste Qualifikationsrennen stand an, Julian musste sich und seinen dritten Platz gegen die anderen Nationen behaupten. Ich packte die Kamera weg, wollte in Ruhe zusehen und Daumen drücken, wollte mitten im Team sein. Am Sonntag, bei den Rennen, würde ich im Infield rumlaufen und Bilder machen, mir Notizen zum Rennverlauf auf einen Zettel schreiben und nebenher Daumen drücken. Heute wollte ich frei sein und das Rennfieber mal wieder ganz ohne andere Aufgaben genießen ein letzter Rest vom Racer ist ja noch wach in mir.
Julian setzte sich gleich beim Start auf Platz zwei und konnte diesen Platz auch bis ins Ziel verteidigen, ein guter Auftakt für Team Germany.
Nico kämpfte sich einen Platz nach vorne, Platz 6 im Ziel, die Laune im Team stieg. Beim Start zum Rennen stand ich neben Julian in der Pitlane, er beobachtete den Start und in dem Moment, als die Ampel ausging, schnellten die Finger seiner linken Hand, die er vorher gekrümmt hatte, als ob er den Kupplungshebel halten würde, vor und die rechte Hand drehte nach unten. Ich schwöre, dass der ganze Körper angespannt war, als ob der Kerl in diesem Moment selbst da am Start gestanden hätte. Vollblutracer, mehr fällt mir dazu nicht ein.
Jan verstronzte mal wieder den Start und legte sich dann richtig ins Zeug, er rettete seinen vierten Platz letztlich ins Ziel.
Dann ging die Rechnerei los und als Resultat kam ein dritter Platz für uns heraus, hinter Italien und Bulgarien. Eine gute Voraussetzung für den nächsten Tag, hatten die Jungs doch beim nachmittäglichen Fernsehinterview von einer Top 5 Platzierung geredet und insgeheim gemeint, den vierten Platz der deutschen Moto Crosser beim Cross der Nationen mindestens egalisieren zu wollen.
Nico haderte immer noch mit seiner Bremse und so wurde noch einmal das komplette System überarbeitet, die Mechaniker stürzten sich mit geballter Kraft auf die Magura und tiedelten an dem Teil rum. Ich kümmerte mich um den Abwasch und besorgte ein paar Dosen Bier, was ja wohl mein Job war.
Irgendwann war das Bremsdingens dann auch soweit, dass man ihm zutraute, seinen Job zu erledigen und auch der Berg wurde eingeladen.
Für den Heimweg wurde der Brecher als Fahrer ausgelost und er war gleich wieder auf Zeitenjagd. Dummerweise hatte die innerörtliche Rennleitung noch nichts von der WM gehört und stoppte uns. Julian musste sich dem Kampf allein stellen und gab sich kleinlaut. Die Polizisten gaben ihm zu verstehen, dass er als Bulgare soeben seinen Führerschein eingebüßt hätte und überlegten sich eine angemessene Summe, die ihn in die Freiheit entlassen würde. Während Julian im Vito nach Geld suchte, stiegen die Kollegen vom Staatsdienst in ihren Dienstwagen und fuhren einfach davon. Wahrscheinlich hatten sie Feierabend oder waren Fans vom Team Germany. Wir setzten die Fahrt jedenfalls unbehelligt fort und Julian musste sich einige Sprüche anhören.
Im Hotel gab es wieder den üblichen Kampf mit dem Personal, heute war eine ehemalige Domina die Chefin, Bestellungen wurden nur widerwillig und mit Karate-Englisch entgegengenommen, oder aus der Speisekarte abgelesen. Wir teilten den Raum mit der Fußball Nationalmannschaft aus Mazedonien oder Aserbaidschan, die am nächsten Tag ihr Qualifikationsspiel zur Weltmeisterschaft gegen Bulgarien bestreiten würde. Vesi konnte das mit seinen Fremdsprachenkenntnissen herausfinden und wir prosteten den Kickern aufmunternd zu. Unsere Sportfahrer waren wieder früh in ihre Zimmer verschwunden, wir alten Herren ließen uns etwas mehr Zeit, im Alter braucht man ja nicht mehr soviel Schlaf und so richtig Gasgeben mussten wir am nächsten Tag ja auch nicht.
Als ich dann später auch im Bett lag, waberten die Gedanken durch meinen Kopf. Dritter Platz in der Qualifikation, können die Jungs das Ding wirklich so durchziehen oder kommt dann doch alles anders? Fahren alle sauber durch und retten ihre Startplätze ins Ziel oder verbessern sich sogar noch? Oder geht alles schief, jemand stürzt, ein Motor geht hoch oder die anderen sind dann, wenn es darauf ankommt, doch wieder einen Ticken schneller? Mit diesen Gedanken, die immer weiter rotierten und abstruse Formen annahmen, trieb ich ab ins Reich der Träume und darüber, was dann in meinem Kopf ablief, werde ich hier nicht schreiben.
Am Sonntag waren wir dann etwas früher im Restaurant, der Kaffee war kurz davor, den Aggregatzustand „fest“ zu erreichen. Die Reifenwärmer hatten wir auch vergessen und so hielten wir uns nicht allzu lange dort auf. Das Rührei war seltsamerweise noch warm, eine wirkliche Strategie des Personals war nicht zu erkennen. Wahrscheinlich zielte man auf völlige Verwirrung der Gäste, um von anderen Missständen abzulenken. Die Außentemperaturen in Pleven lagen noch unter der des Kaffees, zudem war es nebelig. Ich wähnte mich kurz in London, das erste kyrillisch beschriftete Straßenschild holte mich zurück in die Realität. Im Fahrerlager zeigte sich dann, wie gut wir schon aufeinander eingespielt, wie sehr wir zu einem Team gereift waren. Ich kümmerte mich um das Wichtigste, den Kaffee, und die anderen spielten mit den Motorrädern herum. Wie jeden Morgen baute ich meine Profiküche auf und bestückte den Tisch mit feinsten Frühstückszutaten. Jeder Handgriff saß, Cerealien mit einem edlen Überzug aus Kakao kamen aus der Blechkiste, dazu gesellte sich Milch. Wurst, Käse, Brot, Müsliriegel und Weingummi kamen noch dazu. Ich bereitete auch gleich die feinen Nudelteigtaschen mit hochwertiger Fleischfüllung an Tomatensauce vor, den Fehler vom Vortag wollte ich vergessen machen und ab dem Mittag eine kräftige Mahlzeit zur Verfügung stellen.
Unsere Jungs waren in der ersten Gruppe, die das warm up bestreiten sollte und warfen sich zeitig in ihre Arbeitskleidung. Zum warm up stand ich dann wieder mit der Kamera an der Strecke um ein paar Bilder vom Formationsflug der Sportfahrer zu machen. Auf Nachfrage, von welcher Stelle der Strecke sie denn am liebsten Bilder haben wollten, kam natürlich der Wunsch nach Big Air Pics, Kurven scheinen uninteressant zu sein. Ließe man die Burschen frei fahren, tobten sie wohl nur in der Sky Section herum. Der Nebel versaute mir leider die meisten Bilder, Licht war einfach nicht vorhanden, alles wirkte grau in grau, aber unsere Jungs drehten erstaunlich flotte Runden, meist im Pulk, und live zusehen ist eh besser als Bilder anschauen. Nach den warm up Läufen wurde zur gemeinsamen und offiziellen Teamvorstellung auf die Startgerade gebeten, jede Menge Offizielle und auch der oberste Vertreter der ansässigen Kirche waren anwesend. Jede Menge ziemlich hübscher Weinköniginnen oder Hupfdohlen waren mit Schildern bewaffnet, auf denen die Nationen vermerkt waren und unsere Sportfahrer ließen sich von mir mit allen gleichzeitig ablichten, was auch den Damen offensichtlich viel Freude bereitete. Erfolg macht eben sexy, auch wenn er noch ein paar Stunden auf sich warten lässt. Nico war anschließend etwas besorgt, dass seine Freundin davon etwas erfahren könnte. Ich kann Dich beruhigen Nico: Von mir erfährt sie nichts.
Zur Fahrervorstellung hatten sich dann alle Teams mehr oder weniger ordentlich nebeneinander aufgereiht, jeweils eine Schönheitskönigin hielt die Tafel und die Offiziellen sprachen ihre Begrüßungsworte. Inzwischen waren auch jede Menge Zuschauer um die Strecke verteilt, besonders die neu gebaute Mega Tribüne für etwa 3000 Fans an der Sky Section war gut gefüllt. Dann trat der geistliche Führer an das Mikrofon und segnete das Vorhaben Supermoto of Nations mit einer einzigartigen Zeremonie. Sein melodischer Singsang zauberte ein Lächeln in die Gesichter der Teilnehmer und zum Abschluss schritt er die Reihe noch ab und versprühte Weihwasser über jedes Team. Nach dieser wirklich bewegenden Zeremonie gingen wir zurück zu unserer Residenz im Fahrerlager und trafen die letzten Vorbereitungen. Nach den guten Ergebnissen der Sportfahrer in den Qualifikationsrennen hatten wir beschlossen, dass jeder der Drei einmal aus der ersten Reihe starten sollte. Der Platz ist natürlich begehrt, weil da die Kameras stehen und Georgia die Interviews führt. Jan hatte einen Zettel vorbereitet, den er in die Kamera halten wollte: „Vierauge grüßt das Supermoto.de Forum“ und auch Julian und Nico überlegten sich etwas für diesen Moment. Im ersten Rennen würde der Brecher von Platz 3 starten und Nico von Platz 19. Um die aufkommende Nervosität etwas zu dämpfen, packte ich dann das mitgebrachte Spielzeug aus, eine Kollektion von SpongeBob Kuriositäten und Jan war gleich dabei und legte los. Die beiden anderen ließen sich aber nicht so recht anstiften und so wurde es im Laderaum des Trucks, wo die Burschen saßen, schnell wieder still. Naja, so ein Lauf zur Supermoto of Nations ist eben doch was Besonderes und da darf man auch ruhig ein bisschen nervös oder angespannt sein. Tommy hatte sich in den geschlossenen Pavillon zurück gezogen und versuchte zu sich selbst zu finden oder so was. Vesi und Sascha umkreisten die Arbeitsgeräte von Jan und Nico auf der Suche nach einer losen Schraube oder einem Staubkorn und ich steckte mir eine Kippe nach der anderen an. J.P. saß in der Sonne und Uetze war sowieso die Ruhe selbst. Um nicht soviel zu rauchen, arbeitete ich an der Vernichtung der Weingummi Vorräte und latschte mir die Sohlen von den Schuhen. Irgendwann tauchten dann die Red Bull Damen auf und die Sportfahrer verlangten nach der Brause. Die Damen waren aber recht geizig beim Verteilen, also flitzte ich schnell zu ihnen rüber und lichtete sie ab. Die Ladys waren erfreut, wollten Abzüge von den Bildern und so bekam ich die EMail Adresse von Rosi Rok. Als Gegenleistung für die Bilder lockte ich die beiden unter Vorspiegelung fast richtiger Tatsachen in unser Zelt und die Jungs bekamen einen kleinen Vorrat an Getränkedosen.
Die beiden Alleinunterhalter vom Dunlop Service Truck gegenüber machten einen wirklich guten Job, mit fast schon marktschreierischen Fähigkeiten unterhielten sie die Zuschauermassen und zogen Reifen im Akkord auf. Nebenher fanden sie noch Zeit, die Laufbilder der Reifen unserer Sportfahrer zu analysieren. So ein dritter Platz hat echte Vorteile, auch der FIM Präsident und der Rennleiter beehrten uns mit einem Besuch und wünschten Glück für die anstehenden Rennen. Viele Zuschauer blieben stehen, wollten Autogramme, Bilder von sich oder ihren Kindern mit den Bikes, Kappen, T-Shirts und andere Souvenirs. Es herrschte reger Verkehr im Fahrerlager und ich mischte mich ein paar Mal unter die Massen, um meine Nervosität zu verbergen. Manchmal denke ich, ich sollte wieder selber fahren, weil ich glaube, dann ist es irgendwie einfacher, die Spannung zu ertragen. Wenn ich aber ehrlich bin, war ich in meiner aktiven Zeit mindestens genau so nervös, wenn nicht sogar noch nervöser.
Jetzt aber Schluss mit Nervosität, Anspannung und Spekulationen über ein mögliches Ergebnis. Jetzt ging es endlich los, das erste Rennen des Tages stand auf dem Programm. Die Klassen S1 und S2 wurden zum Schlagabtausch auf den Track gebeten, Julian und Nico machten sich fertig, Uetze und Sascha packten die Aggregate und die Reifenwärmer für den Vorstart und die Startaufstellung auf die Transportkarren, die Bikes wurden von den Hubständern gehoben und gestartet. Das Team machte sich auf den Weg zur Strecke, Vesi blieb als Hüter der Residenz zurück und ich packte die Kamera und den Notizblock ein. Endlich ging es los, let's go racing!
Im Vorstart war es schon voll als wir ankamen, das sprach für unser Timing. Kaum angekommen, ging es auch schon los in die Startaufstellung. Die Motorräder kamen auf die Ständer, die Reifenwärmer wurden wieder um die Gummis gewickelt und an das Aggregat angeschlossen. Für die vorderen Reihen standen die Schildhalte- Weinköniginnen bereit, in den hinteren Reihen sorgten meist Teammitglieder für den Schatten. Julian hatte einen Zettel für die Kameras bereit, auf dem er sich bei seinen Sponsoren und seiner Familie bedankte und hatte ihn zwischen Tank und Sitzbank geklemmt.
Foxy gab das Signal: „One Mechanic in the Grid!“, die Reifenwärmer mussten runter, die Mechaniker aus der Startaufstellung, gleich ging es in die zwei Aufwärmrunden und danach stand fast unmittelbar der Start an. Georgia rannte schnell noch zu Julian, um ihn zu interviewen. Er gab sich locker, verstand die zweite Frage nicht und redete trotzdem los, kam ins Stocken und schaute verwirrt. Georgia nahm es mit einem Lächeln auf und fragte noch einmal nach, Julian wurde seine Antwort dann doch noch los und Georgia sprintete aus der Startaufstellung. Es wurde auch Zeit, die grüne Flagge hinter dem Feld wurde schon geschwenkt, das Youthstream Team legt Wert auf Pünktlichkeit. Reihe für Reihe ging es los, zwei warm up laps waren zu absolvieren und dann standen alle wieder auf ihren Startplätzen, waren sortiert und die Strecke wurde freigegeben. Ampel auf Rot, die Motoren drehten hoch, ein sattes Dröhnen lag in der Luft, der geilste Moment eines Rennens stand bevor. Die Ampel ging aus, Kupplungshebel flogen, die Meute donnerte los....
Ich war kurz zuvor in die erste Kurve gelaufen, um dort Bilder vom Start zu machen und sah das Fahrerfeld auf mich zu fliegen. Julian kam gut weg und bog als Zweiter in die Kurve ein, dicht hinter dem Bulgaren und knapp vor dem Italiener. Dann wischten die Fahrer nur so vorbei, in dem Knäuel konnte ich Nico nicht gleich orten, meinte aber, ihn als Vierzehnten gezählt zu haben. Als die Meute vorbei war, rannte ich zurück, um den Rest des Rennens vom Anfang der Zielgeraden aus zu beobachten, von dort konnte ich einen Großteil der Strecke einsehen, vor allem in die Sky Section hatte ich einen guten Einblick. Nach der ersten Runde war Julian wieder Dritter, Gaspardone hatte ihn irgendwo überholt, aber Julian hing in dessen Heck und blieb auch dran, das sah gut aus. Nico kam als Zwölfter aus Runde 1 zurück, er war an seinen Vorderleuten dran und machte mächtig Druck. Man konnte ihm ansehen, dass er mehr wollte, es ging vorwärts und das machte Hoffnung. Die Spitze etablierte sich, Julian war sicher auf Platz drei unterwegs und Nico pushte etwas weiter hinten, er machte jede Runde mindestens einen Platz gut. Ich trabte zwischen Sky Section und Start/Zielgerade hin und her, machte ab und zu ein Foto und kritzelte irgendwas auf meinen Zettel. Eigentlich war ich viel zu aufgeregt, mir Notizen zu machen und ich sollte ja auch später die Ergebnislisten und Lapcharts bekommen. Viel passierte auch nicht mehr in dem Rennen, Nico fightete sich auf Platz acht vor und Julian fuhr unbedrängt auf 3. Mit dem Schwenken der Zielflagge fiel dann auch von mir eine Last ab, Teil 1 des Unternehmens war geschafft. Ich zählte im Kopf schnell die Plätze zusammen und sah Team Germany zusammen mit den Italienern auf Position 1, dahinter die Bulgaren. Weder Bartolini noch Georgiev war es gelungen, sich so durch das Feld zu tanken, wie es Nico geschafft hatte, der kleine Grieche hatte unser Team durch seinen verbissenen Fight nach vorne gebracht!
Schnell zurück ins Fahrerlager mit kurzem Zwischenstopp im Pressecenter, eine Kurzmeldung ins Forum absetzen und feststellen, dass der Haufen per Livestream sowieso alles mitbekommt. Also schnell in die Residenz, Julian und Nico beglückwünschen und schnell ein paar Weingummi futtern. Das Zeug ist prima gegen Nervosität!
Kaum angekommen, ging es auch schon wieder los, diesmal mussten Nico und Jan ran, die Berg war frisch betankt, die Räder waren getauscht und frische Reifen warteten darauf, malträtiert zu werden. Jan war jetzt ziemlich hibbelig, das würde sich auch erst wieder legen, wenn er endlich in der Startaufstellung stand und Vesi ihn mit einem Händedruck auf die Reise schicken würde. Wir kamen wieder passend im Vorstart an, kurz danach standen wir in der Startaufstellung. Sascha und Nico hatten ihre Boxentafel mit einem Gruß an Lars versehen und hielten sie in die Kameras. Das erregte etwas Aufsehen bei der Rennleitung und beim FIM Präsidenten, die auch durch die Reihen der Fahrer liefen. Ich erklärte die Umstände und bekam den Auftrag, Grüße weiter zu leiten.
Da fällt mir ein, was ich bisher vergessen habe: „Hallo Lars, ich soll Grüße von der Rennleitung und Herrn Srb ausrichten!“
Sorry, aber die ganze Aufregung............
Dann ging die Nummer wieder los, „One Mechanic!“ , warm up laps und dann, endlich, der Start.
Ich stand wieder in Corner 1 und wartete darauf, dass die Ampel aus ging.
Es beginnt am Morgen nach dem Rennwochenende in Harsewinkel, letzter Lauf zur Inter DM Supermoto. Am nächsten Wochenende fand das Supermoto of Nations in Bulgarien statt und ich hatte mich als Fahrer des Teamtrucks gemeldet. Im Jahr vorher hatte ich die Tour schon einmal gemacht und freute mich, diesmal wieder dabei sein zu können.
Die Plevenchronik
Fahrerlager Harsewinkel, Montag morgen: Ein Bild der Idylle. Einzelne Fahrzeuge stehen still herum, dazwischen wuseln mehr oder weniger lebendige Menschen umher und irgendwo riecht es nach Kaffee. Ich folge meiner Nase und finde den Quell der Erweckung. Wenig später muss ich mich verabschieden, mit dem T4 von Vierauge und eben diesem auf dem Beifahrersitz geht es nach Iserlohn. Der Kleine ist schweigsam, die Meisterfeier hat ihn geschafft und ich bin dankbar für die Ruhe, bin ja selber noch nicht ganz Herr meiner Sinne. Iserlohn liegt zum Glück beinahe um die Ecke und so erreichen wir das erste Etappenziel meiner Odyssee zeitnah. Vierauge versucht die Türe zu öffnen, das Sicherheitsschloss verweigert aber, wie sich später herausstellt aufgrund eines widerrechtlich hinein gekrabbelten und kläglich verendeten Insektes, den Dienst und so hocken wir vor der Tür bis der Teamchef und P. Eintreffen. Das Vierauge muss einbrechen, so ein filigran gestalteter Körper hat auch seine Vorteile. Nachdem wir das Domizil der Familie D. geentert haben,
gibt es Kaffee, Kaffee, Kaffee und dann machen wir uns daran, Sachen aus und wieder einzuladen, weil wir ja am nächsten Morgen aufbrechen wollen in Richtung Bulgarien. Das heißt, ich will aufbrechen, die anderen kommen dann via Luftpost nach. Als ich so an die Reise denke, frage ich nochmal nach meinem geplanten Beifahrer, der ja seit Tagen nicht erreichbar ist. Teamchef telefoniert und kommt leicht verwirrt zurück. „Nicht erreichbar!“
Naja, wird schon, wir laden munter weiter und irgendwann beginne ich mal damit, einen geforderten Bericht zum Saisonabschluss zu verfassen. Dabei stellt sich das tolle Thinkpad als recht empfindlich heraus, oder einfach nur als zickig. Ich bin inzwischen einigermaßen angefressen, das Ding tut's nicht richtig und die Sache mit dem unerreichbaren Beifahrer nervt zusätzlich. Das wird ein langer Abend, befürchte ich......................
Während ich mit dem Klapptopp kämpfe, telefoniert Tommy in der gesamten deutschen Motorsportszene herum, allerdings recht erfolglos. Bei einem zwischenzeitlichen Brainstorming hat P. Die Idee, im Forum einen Aufruf zu starten. Ich setze mich an den Rechner und schicke einen verzweifelten Hilferuf ins Netz. Es melden sich tatsächlich ein paar Verrückte, die aber leider nicht helfen können, obwohl sie es gerne tun würden. Die Sache ist doch recht kurzfristig, wer kann schon am Montagabend zusagen, dass er am Dienstag Morgen für 1,5 Wochen verreisen kann.
Dann kommt doch noch Bewegung in die Sache, Daniela hat einen Kandidaten und auch Tommy hat etwas erreicht. Mit dem beruhigenden Gefühl, zwei halbe Beifahrer zu haben, widme ich mich meiner Arbeit und sinke dann, nach einem Feierabendbierchen in den Schlaf. Der Dienstag Morgen fängt gut an, Danielas Kandidat hat abgesagt, vom anderen halben Beifahrer noch keine Nachricht. Mit langen Gesichtern trinken wir unseren Kaffee, Tommy sieht Scheisse aus, aber das liegt wohl an seiner Grippe. Im Zweifel werde ich alleine fahren und Tommy setzt sich auf den Beifahrersitz um das zu tun, was er am Besten kann: Reden. Damit kann er mich dann wach halten, wenn's gar nicht mehr geht, machen wir halt Pause und ich schlafe ein wenig. Mit seinem Terminatorbein kann Tommy eben nicht die Kupplung des LKW zuverlässig treten, deshalb ist es abwegig, ihn als Fahrer zu nehmen. Wir lassen uns aber nicht entmutigen, Vierauges T4 steht mit Anhänger fertig beladen zur Abfahrt bereit und wir warten auf den erlösenden Anruf.
Der Anruf kommt, Jean Pierre erklärt sich bereit zum Abenteuer SmoN. Der Mann ist belgischer Soldat im Dauerurlaub und wartet auf die Rente. Er hatte schon ein eigenes IDM Team und fährt immer noch LKW für die IDM, ist bei Hitachi beschäftigt und betreibt eine freie Werkstatt für Autos und Motorräder. Nachdem er alle Termine für die nächsten 1,5 Wochen verschoben hat, ist er bereit. P. Holt ihn am Mittag in Soest ab und endlich können wir starten. Mit dem T4 geht es nach Bensheim zu Suszuki, wo wir den LKW übernehmen sollen und Lars mit den Gerätschaften von Nico auf uns wartet. Wir kommen in Bensheim an, kein LKW, kein Lars!
Auf Nachfrage bei einer bezaubernden Fee in dem Gebäude bekommen wir die Antwort, dass Lars mit dem 7,5 Tonner mal eben in der Werkstatt ist, weil die Laderampe nicht auf ging.
Lars hat dann auch gleich mal Öl nachfüllen und einen schnellen Rundumblick auf den Truck werfen lassen. Wir machten uns ans Beladen, wobei sich Jean Pierre als Staumeister entpuppte. Zügig schaufelten wir alle möglichen Dinge in den Laderaum und er verstaute das Ganze so, dass nichts rauf- oder runter fallen konnte.
Die Reise ging weiter, wir programmierten den Autohof Irschbergen ins Navi und knallten mit wahnsinniger Geschwindigkeit über die Autobahn Richtung München, um Julians Rennzutaten aufzusammeln. Ab München würde uns die Reise dann via Österreich, Ungarn und Rumänien nach Bulgarien bringen, 2400km durch halb Europa. Da es ab Mitte Ungarn keine Autobahnen mehr gibt, planten wir mal eine etwas längere Fahrzeit ein, das Navi orakelte irgendwas von über 30 Stunden, die elektrische Dame sagte: „Der Transit dieser Strasse dauert sehr lange!“
Wir erreichten den Tankhof bei München gegen Mitternacht, Julian war schon da und wir machten uns gleich ans Umladen. Das war mein erster persönlicher Kontakt mit Julian, und ich quatschte erstmal ein bisschen mit ihm. Der Kerl war mir auf Anhieb sympathisch und ich freute mich darauf,
ihn im Einsatz zu erleben. Die Laderei war schnell erledigt, wir hatten ja schon Routine und J.P. machte seinen Job als Lademeister wieder mal perfekt. Nachdem alles verstaut war, enterten wir die Tankstelle und kippten uns einen grossen Kaffee zum Preis einer puertoricanischen Plantage in die Hälse. Dann schlugen wir nochmal zu, kauften eine Cola Raffinerie, literweise Flügelverleiher für J.P. und die Jahresproduktion der Firma, für die der Berufsjugendliche wirbt, der beim ZDF den Wettenkasper macht. So gewappnet wollten wir den Endspurt antreten, schlappe 1900 km durch die Dunkelheit lagen vor uns.
Ich übernahm das Steuer des Trucks und J.P. Machte es sich auf dem Beifahrerstuhl so bequem wie möglich, also gar nicht. Das Asphaltband glitt unter uns weg, wir näherten uns der Grenze zu Österreich und reisten dann unerkannt ein. Im Fahrzeug befand sich eine GoBox, das ist das simple Pendant zu den wahnsinnigen Apparaten, die man in Deutschland braucht, um den Wegezoll zu entrichten. Ich schnappte mir das Teil, um es an der ersten Tankstelle in Österreich aufladen zu lassen und den Inhalt unserer Reisekasse erstmals derbe zu schänden. Aber: „Surprise“, das Ding hatte noch reichlich Saft und ich musste nur ein bisschen was nachladen, um Hin- und Rückfahrt abzudecken. Ich wollte auch noch Euro in Schillinge tauschen, erntete aber nur böse Blicke, also rannte ich schnell aus dem Etablissement und rettete mich in den LKW. Starten, Gas geben und weg vom Ort des Geschehens, auf die Autobahn Richtung Ungarn, vorbei am hell erleuchteten Wien, dem man sich auf der Autobahn von oben nähert. Ein toller Anblick, ich habe extra nicht angehalten, um ein Bild davon zu schießen, wer es sehen will, soll selbst hinfahren.
Die Fahrt verlief weitgehend ruhig, die meisten Idioten, die sich sonst auf Straßen herumtreiben, waren wohl in irgendeinem Fußballstadion oder nahmen an den Koalitionsverhandlungen in Berlin teil. Auch an der Grenze nach Ungarn gab es keine besonderen Vorkommnisse, ich kaufte die Durchfahrtberechtigung und tauschte ein paar Euro zum Tanken in Forinth um, und schon ging es weiter. Jetzt begann die eigentliche Zeitreise, am Anfang ist in Ungarn noch alles so, wie man es als Mitteleuropäer gewohnt ist, Straßen, Beleuchtung, Bebauung. Je tiefer man jedoch in den ehemaligen Ostblock eindringt, umso schlechter werden die Straßen, die Autobahn hört irgendwann auf und es geht auf einer mittelprächtigen Straße weiter, die hierzulande nicht mal dem Status einer Bundesstraße entspricht. Die Beleuchtung nimmt ab, die Häuser werden kleiner, verfallener und schäbiger. Das Einzige, was unserem Standard entspricht, sind die Mengen an LKW, nur rollen sie dort auf einer miserablen Straße, aber in derselben Menge, wie sie es hier auf gut ausgebauten Autobahnen tun. Wir waren unterwegs auf der Transitroute von Deutschland nach Bulgarien und Griechenland, in einer endlosen Schlange aus LKW, die sich mit irrsinniger Geschwindigkeit durch Europa windet. Waren aller Art werden transportiert, unter anderem sah ich einen LKW, voll gepackt mit offenen, etwa 30x30x30cm kleinen Drahtkäfigen, in denen Truthähne saßen, den Kopf im Wind und unwissend, wohin die Reise geht.
An der Grenze zu Rumänien saß J.P. Wieder am Steuer, der Zöllner fragte, wohin wir wollen und was wir geladen haben. „Wir fahren nach Pleven in Bulgarien zur Supermoto Weltmeisterschaft und haben das Material für das deutsche Team geladen!“ „Habt Ihr Kappen dabei?“ kam es prompt und dann wollte er noch in den Laderaum sehen. Das Übliche also. 3 Minuten und zwei BMW Caps später rollten wir weiter, tauschten Euro in Lew oder Lei, lösten die Vignette und tauchten dann endgültig in die 50er Jahre ein.
An der ersten Tankstelle füllten wir den Tank bis zum Rand und wehrten uns vergeblich gegen einen aufstrebenden Jungunternehmer, der uns multilingual umschwärmte und eine Reinigung der Scheiben unseres Fahrzeugs anbot. Ich lehnte dies ab, woraufhin er einige Kostproben seiner Fähigkeiten abgab, allerdings nur halbherzig, wodurch die Sicht leicht erschwert wurde. Seine Kumpels umschlichen in der Zeit den LKW und lauerten auf was auch immer. Schließlich tauchte auch noch die hochschwangere Mutter auf und bat um einen Euro, aber wir ignorierten die Truppe einfach. Neben dem Reinigungskommando fanden sich auch noch einfache Bettler, diverse Hütchenspieler und Anbieter diverser hochwertiger Designeruhren- Hemden-Hosen-Jacken und Krokodillederschuhe auf dem Areal. Nach vollzogenem Tankvorgang ging ich zur Kasse, J.P. sicherte den Truck und danach ging es los. Es war inzwischen wieder hell, die Nacht lag hinter uns und viele Kilometer vor uns. Bisher lagen wir im Plan, ich hatte gehofft, Rumänien tagsüber durchqueren zu können und Pleven am späten Nachmittag zu erreichen. Die Straßen hatte ich in schlechter Erinnerung, bei Tageslicht sollte es leichter und schneller gehen. Der Nachteil war, dass tagsüber neben den LKW jede Menge anderer Leute die Straßen benutzen, unter anderem auch Radfahrer, Pferdewagen (die in wirklich großer Zahl genutzt werden) und Fußgänger, und dann gab es noch Bahnübergänge, die etwa 12 Minuten gesperrt werden, weil eine altersschwache E-Lok die Straße kreuzt. Während wir auf die Öffnung der Schranken warteten, wurde ich von einigen Bauarbeitern um Zigaretten angebettelt, obwohl diese selber welche hatten. „Deutschland alles Kapitalist!“ hörte ich nun schon zum zweiten Male, auch der Jungunternehmer mit seinem Car-Care-Service an der Tankstelle hatte dieses Klischee bemüht. Ich habe kurz überlegt, ob ich den Herren meine private finanzielle Situation näher erläutern soll, nahm aber davon Abstand. Erstens habe ich mit Sicherheit mehr als sie und zweitens ist mein Rumänisch miserabel.
Wir kämpften uns weiter durch die Karpaten und Transsilvanien, eine wahnsinnig schöne Landschaft und die gefährlichste Straße, die ich kenne. Wir kamen nur langsam vorwärts, ein Schnitt von etwa 40 km/h wurde vom Navi angezeigt, unsere Ankunftszeit verschob sich immer weiter nach hinten. Es dämmerte bereits und wir waren immer noch in Rumänien unterwegs. J.P. zeigte leichte Schwächen in der Nachtsicht und ich übernahm wieder das Steuer.
Sehr spät am Abend erreichten wir die Grenze und wurden von einer sehr resoluten Zöllnerin angehalten. Die Dame sprach weder deutsch noch englisch, gab mir aber zu verstehen, daß wir für den Transit über die Brücke einen geringen Obulus zu entrichten hätten. Ich erinnerte mich an das Jahr zuvor und die Tax für die Fähre und gab mich geschlagen. Ich entrichtete 18 Euro und bekam eine prima Quittung ausgestellt. Wir ließen uns vom Navi leiten und landeten prompt verkehrt herum in der Ausfahrt von der Zollstation. Bevor wir wenden konnten, schoß ein Zöllner auf uns zu und machte gleich Alarm. Wir sollten Papiere und Ausweise vorlegen, er komme gleich wieder. Ich war inzwischen ziemlich müde und genervt, wollte eigentlich nur schnell weiter, um möglichst bald am Ziel an zu kommen. Der Kerl kam wieder, redete auf deutsch zu uns und meinte, wir könnten die Brückennutzungsgebühr in Höhe von 150 € bei ihm direkt entrichten, er würde uns dann den Weg durch die LKW Schlange bahnen. Den Einwand, dass wir bereits bezahlt hätten, tat er ab mit der Bemerkung, das sei nur der Transit zur Brücke gewesen. Ich hatte keine Lust auf Streit, war zu müde und kenne auch die Bestimmungen des rumänischen Grenzwesens nicht wirklich auswendig, also drückte ich ihm 150 € in die Hand und er ging mit dem Hinweis, die Quittung gleich zu bringen. Auf seinem Weg kontrollierte er noch die Frachtpapiere einiger LKW, dann war er aus meinem Blickfeld verschwunden. J.P. knurrte vor sich hin: „Den siehst Du nicht wieder!“, ich war angefressen genug um ihm eine entsprechende Antwort zu geben und so füllte sich das Führerhaus mit eisigem Schweigen.
Meine Nachfrage bei den anderen Zöllnern nach dem Kollegen wurde mit einem Schulterzucken, verborgenem Grinsen und dem Hinweis auf die Polizei abgetan.
Wir setzten die Reise fort, kurz vor der Brücke war die letzte Station, der Kollege in Uniform forderte 12 Euro Benutzungsgebühr. Ich knallte ihm die Quittung auf die Theke und er wurde ungemütlich. In astreinem Rumänisch bellte er mich an, stand von seinem bequemen Sessel auf, strich seine Paradeuniform glatt und wuchs um satte 20 Zentimeter. Seine Kollegen kamen dann auch gleich mal ums Eck und gesellten sich unauffällig dazu. Ich warf ihm die 12 Euro vor die Füße und stieg in den Truck, um endlich aus diesem vermaledeiten Land zu entkommen. Niemand stellte sich uns in den Weg, wir passierten die Brücke, die ich soeben gekauft hatte und erreichten Bulgarien. Dort ging es problemlos durch den Zoll, wir kauften eine Vignette, tankten den Laster und bezahlten mit Euro.
An der nächsten Tankstelle hielten wir noch einmal an, uns war klar geworden, daß wir unser Ziel zu unchristlicher Zeit erreichen würden und garantiert nichts mehr zu trinken bekämen. Mit einem SixPack bewaffnet brachten wir die letzten paar hundert Kilometer hinter uns, zwischenzeitlich kämpfte ich gegen den Sekundenschlaf, hatte gar Halluzinationen. Neben mir saß nicht mehr J.P. sondern Hellnut und ich beschwerte mich bei ihm über meinen Beifahrer, der alles besser wusste, aber auch nix verhindert hatte.
Irgendwann, ich weiß wirklich nicht mehr wann, erreichten wir den Militärflugplatz bei Pleven, auf dem die grandiose Piste angelegt ist und hatten Glück, daß das Einfahrtstor noch weit offen stand. Ich parkte den LKW im Fahrerlager, riss mir ein Bier auf und bimmelte Tommy aus dem Bett.
Als der Teamchef dann später eintraf, hatte ich zwei Bierchen intus und war komplett neben der Spur. Wir fuhren ins Hotel, bekamen den Zimmerschlüssel und fielen einfach nur noch in unsere Betten, unfähig, irgendetwas zu denken oder zu tun. Ich war zu diesem Zeitpunkt seit 44 Stunden wach und hatte in der Zeit 28 Stunden lang den LKW gelenkt, die letzten 20 Stunden am Stück.....................
Um halb zwei wurde ich wach und verspürte Hunger, Weingummi sättigt eben nicht nachhaltig, also schleppte ich meinen müden Körper unter die Dusche und machte mich schön. OK, ich machte mich sauber und hüllte mich in frische Textilien. J.P. war nicht im Zimmer, ich erinnerte mich daran, dass er etwas früher schon aufgewacht war, also beschloss ich, mal im Hotel nach zu sehen, ob ich ihn finden könne. Vielleicht hatte er schon Erfahrungen mit dem Restaurant gemacht und hätte einen Tipp für mich, wie man an etwas essbares kommt. Immer noch ziemlich müde schleppte ich mich in die Lobby, sah dort niemanden und schaute in das Restaurant. Auch dort herrschte eine ähnliche Leere wie in meinem Magen und so stapfte ich in die Bar, wo ich einen Kaffee ergatterte. Die Frage, ob groß oder klein beantwortete ich mit einem überzeugten „Groß“, was zur Folge hatte, dass ich einen Fingerhut bekam, gefüllt mit einer teerartigen Masse. Mit viel Milch und Zucker brachte ich das Gebräu in einen Zustand, der zum Verzehr geeignet schien und verzog mich damit auf die sonnenüberflutete Terrasse. Die Wärme machte sich in mir breit und linderte die Schmerzen in meinem von der langen Reise geschändeten Körper. Der sogenannte Kaffee hatte auch gute Auswirkungen auf mein Befinden und ich ging zurück in mein Zimmer, um mal die ganzen Quittungen zu sortieren, die ich während der Fahrt gesammelt hatte. Für die gekaufte Brücke hatte ich leider keinen Nachweis, ich muss das dann mal mit dem rumänischen Verkehrsministerium klären.
Ich war gerade mit der Buchhaltung fertig, als J.P kam und wir hockten uns wieder auf die Terrasse um ein Bierchen zu schlürfen, während wir auf den Rest des Teams warteten. Die Nahrungsaufnahme hatte ich bis auf Weiteres verschoben und mich der Askese hingegeben. Bier macht ja auch satt. Als die Sonne langsam tiefer sank, kühlte es auch recht schnell ab, wir hüllten uns erst in wärmere Gewänder und traten dann den Rückzug in die Hotelbar an. Leicht verwirrt nahmen wir zur Kenntnis, dass wir dort kein Bier mehr bekommen könnten, aber die junge Dame erklärte sich bereit, im Restaurant um Nachschub anzufragen. Bierknappheit war nun ein Szenario, dass nur schwer zu akzeptieren war, ich war einigermaßen erstaunt. Im Zweifel würde ich mir im örtlichen Supermarkt einen Vorrat besorgen müssen, nach der harten Arbeit draußen an der Strecke haben sich fleißige Helfer, Mechaniker und Teamchefs doch eine kleine Erfrischung verdient. Es kam aber nicht zum Schlimmsten, das Restaurant war zumindest mit Bier gut bestückt, wie wir im Laufe der Woche noch herausfinden sollten.
Als wir uns so in der Bar herum flegelten, kam auch der Rest des Teams endlich ins Hotel. Tommy hatte die drei Fahrer sowie deren Mechaniker im Schlepptau und eine große Begrüßungsszene fand statt. Nico hatte Sascha dabei, Jan seinen Wesi und für Julian hatte man Uetze verpflichtet, der normalerweise bei WüPa sein Unwesen treibt und dort neben den Motorrädern vom „Sportfahrer und der Sportfahrerin“ (O-Ton Uetze!) auch noch irgendwelche Pferde versorgt, Waschstraßen aufbaut und sonst noch allerlei Arbeiten erledigt. Nachdem die Horde ihre Gerätschaften auf den Zimmern versorgt hatte, begaben wir uns in das Restaurant um fürstlich zu dinieren und noch ein paar Bierchen zu schnappen. Die Racer hatten für den Abend Ausgang bekommen und verabschiedeten sich gleich nach der Mahlzeit mit Wesi und Sascha in die Stadt, J.P. begleitete die Truppe und ich blieb mit Tommy und Uetze zurück, um diverse Biersorten zu testen, das Angebot war vielfältig, aber von keiner der angebotenen Marken war genug vorhanden, um ihr treu bleiben zu können. Wir tranken und redeten also durcheinander und amüsierten uns prächtig. Die Vernunft trieb uns aber irgendwann ins Bett, uns war klar, dass die Woche lang und hart werden würde.
Für den Freitag war harte Arbeit angesagt, die Residenz im Fahrerlager musste aufgebaut werden, die Bikes sollten zur Abnahme, eine Streckenbesichtigung stand an und nicht zuletzt galt es, durch selbstbewusstes Auftreten die Konkurrenz zu verwirren. Wir trafen uns nach und nach im Restaurant zum Frühstück. Frühstück ist so ein Thema, das sich durch diese Chronik ebenso ziehen wird wie das Abendessen. Das liegt aber nicht an unserem unmäßigen Appetit, sondern an dem etwas - sagen wir ungewöhnlichen - Verhältnis des Restaurant Personals zum Thema Dienstleistung, Gastfreundschaft oder einfach Arbeitsmoral. Ein Frühstücksbuffet war aufgebaut, es gab Toast, der bereits früh am Morgen getoastet worden sein musste und nun vor sich hin litt, verschiedene Marmeladen, Wurst, Käse und entweder frisches Obst oder Kuchen vom Vortag. Zusätzlich gab es Rührei und, wohl als Bacon Ersatz, gebratene Brühwurststücke, beides in einer dieser Schalen, die zum Warmhalten von Speisen dienen, wenn eine Wärmequelle darunter steht. Wenn........
Ähnlich verhielt es sich mit dem Kaffee. Dieser befand sich in einer beheizbaren Kanne, leider war der Stecker nicht eingesteckt, am Freitag fehlte gar das komplette Kabel. Der Kaffee war dementsprechend: für schnelle Frühstücker geeignet, weil man ihn einfach so runterkippen konnte. Ich nahm trotzdem zwei Tassen von der Brühe um mir die Zeit zu vertreiben, bis auch die anderen bereit waren aufzubrechen. Wir hatten ja in unserem reichhaltigen Reisegepäck eine Kaffeemaschine, Kaffeepulver, Filtertüten, Zucker und Kondensmilch. Der Gedanke daran ließ mich durchhalten und ich knabberte ein bisschen an einer kalten, in der Konsistenz an Schaumstoff erinnernden Toastscheibe herum, auf die ich etwas gelegt hatte, das wie Schinken aussah.
Im Fahrerlager angekommen, parkten wir schnell den Truck ein paar Zentimeter um, schließlich gelten strenge Regeln und die Flucht der Vorzelte muss eingehalten werden. Dann räumten wir alles aus und begannen damit, das riesige Vorzelt, das zum LKW gehört, aufzubauen. Keiner von uns hatte so ein Zelt schon einmal aufgebaut, aber J.P. übernahm das Kommando und so schafften wir es, das Puzzle aus Stangen so zusammen zu setzen, das man die Plane anschließend passgenau darüber ziehen konnte. Dann bauten wir noch zwei Pavillons rechts davon auf und zwei weitere links. Die Pavillions auf der rechten Seite schlossen wir mit Seitenwänden, so dass dort eine Zone entstand, in die man sich zurück ziehen und den Blicken der zu erwartenden Zuschauermassen ausweichen konnte, die anderen Pavillions blieben für Blicke offen, dort sollten die Reserve Bikes parken. Endlich konnte ich mich um den Kaffee kümmern, die anderen legten noch den Plastikboden im Vorzelt aus und brachten an der Stirnseite die schicken Banner an, auf denen groß „Team Germany“ stand, damit wir auch leicht zu erkennen waren. Der Platz, den man uns zugewiesen hatte, war übrigens sehr prominent, direkt am Eingang zum Fahrerlager. Wer hereinkam, kam an Germany nicht vorbei! Hatte Foxy, der Paddockchef von Youthstream etwa seherische Fähigkeiten?
Der Kaffee war durch und jeder freute sich darüber, wir gönnten uns eine kurze Pause, bevor es weiterging mit dem Aufbau. Die Bikes mussten ja auch noch hergerichtet werden, das Dekor musste geklebt werden, Ölwechsel standen noch an und Reifen mussten aufgezogen werden. Während alle irgendwie rege umher liefen und irgendwas irgendwohin stellten, trugen oder schoben, kümmerte ich mich um die Verpflegung, schließlich war ich ja als Hospitality Manager gebucht. Eine kräftige Hühnersuppe schien mir passend für diesen Tag, die Männer brauchten Kraft und niemand musste mehr sportlich tätig werden, es durfte also ruhig etwas deftiger werden. Für die beiden Renntage hatte ich Pasta geplant, heute durften wir noch einmal sündigen. Ich öffnete also die 5 Dosen Hühnernudeltopf, die in der großen Verpflegungskiste über 2400km hierher gereist waren, schüttete sie in den großen Topf und erhitze das Festmahl auf unserem Zweiplattenherd.
Nachdem alle gegessen hatten, die Motorräder vorbereitet und unsere Residenz fertig gestellt war, fuhren unsere „Sportfahrer“ zur technischen Abnahme. Tommy hatte bereits den ganzen Papierkram und die erste Order beim Dunlop Service erledigt. Zur Abnahme ging ich mit, die Kamera im Anschlag. Die Geräuschkontrolle verlief zufriedenstellend und auch sonst hatten die technischen Kommissare keinerlei Einwände gegen den Einsatz der Arbeitsgeräte. Einzige Überraschung war das Gewicht von Nico's Berg. Das Ding bringt doch tatsächlich stramme 125 kg auf die Waage, vernünftig betankt wuchtet der kleine Grieche also 130 kg um den Kurs.
Nach der Abnahme drehte ich mit den drei jungen Helden noch eine Runde um den Track und machte weitere Bilder. Julian ging mehrmals zu Boden, um die Bodenwellen in den schnellen Kurven hautnah in Augenschein zu nehmen und freute sich darüber, wie „broat“ die Strecke ist.
Nach dem Spaziergang packten wir alles wieder ein und fuhren zurück ins Hotel. An einer Tankstelle deckten wir uns mit Zigaretten, Benzin und Getränken ein (zu Preisen, die hiesige Supermärkte nicht unterbieten können). Glücklich im Hotel angekommen, (glücklich, weil Jan das Steuer übernommen und auch eigene „Musik“ dabei hatte) verabredeten wir uns dann für das Abendessen im Restaurant. Eine Fahrt in die Stadt, um dort zu essen, hatten wir nach kurzer Beratung ausgeschlossen, im Hotel zu essen, war einfacher und bequemer. Julian hatte seinen Zimmerschlüssel im Fahrerlager vergessen und ich verhandelte mit der Portieuse um die Herausgabe des Reserveschlüssels. Dies gestaltete sich schwierig, weil sie kein Deutsch, ich kein Bulgarisch und wir beide nicht wirklich Englisch sprachen. Mit einer Mischung aus Englisch und Karate machte ich aber klar, worum es ging, knallte ihr meinen besten Augenaufschlag hin und so bekam Julian dann den Schlüssel.
Im Restaurant kämpften wir dann auch wieder mit gewissen Sprachbarrieren, aber der Oberkellner, welcher eine gewisse Ähnlichkeit in Mimik und Gestik zu Freddie Frinton aufwies, sprach etwas französisch und so konnte Tommy mit ihm kommunizieren. Damit hatte der Bursche sicher nicht gerechnet, sonst hätte er diese Fähigkeit bestimmt verheimlicht.
Die drei Musketiere gingen früh zu Bett, wir Teamchefs, Mechaniker, Lademeister und Hospitalitymanager tranken uns wieder durch das reichhaltige Angebot an Biersorten und beredeten die Taktik für das Wochenende und tauschten Schwänke aus unserer Jugend aus.
Samstag. Der erste Tag, an dem es wirklich Ernst werden sollte. Treffen wie gehabt im Restaurant, ich war so ziemlich der Erste und genoss wie am Vortag lauwarmen Kaffee, zähen Toast und geeistes Rührei. Heute gab es außerdem Gurken - und Tomatenscheiben, ich gönnte mir eine Überdosis Vitamine. Vesi schlug vor, abends ein Paar Reifenwärmer mitzunehmen, um damit am nächsten Morgen die Kaffeevereisungsmaschine zu pimpen. Die Idee wurde lachend angenommen und weitere Diskussionen um das Frühstück und die daraus resultierenden Möglichkeiten folgten. Die Truppe war munter und heiter, gute Voraussetzungen für einen erfolgreichen Tag. Julian hatte schon einen lockeren Waldlauf hinter sich, Nico war ausgeschlafen und fröhlich, nur Jan kam wie immer als Letzter und mit halb geschlossenen Augen angeschlurft, was mich in die Situation brachte, den Vito durch Pleven zu steuern. Von den Sportfahrern auf den billigen Plätzen hinter mir bekam ich permanent Tipps, wie man Schwellen umsteuert, wo Polizeiposten stehen und wie schnell man welche Kurve nehmen kann. Ich überlegte kurz, ob ich den Jungs erzählen sollte, dass ich bereits einen Führerschein hatte, als sie noch Holzwolle aus dem Teddy gepuhlt haben, oder von meinem Donut mit dem Omega berichten sollte, ließ das aber lieber sein, frustrierte Sportfahrer neigen nicht zu Höchstleistungen. Wir brauchten marginal länger für die Fahrt zur Strecke als am Tag zuvor, verbrauchten dafür aber nur einen Bruchteil des Treibstoffs und mussten keinerlei Gebühren an irgendwelche Polizisten entrichten. Um sein Leben hatte auch niemand fürchten müssen, aber das ist zweitrangig. Im Fahrerlager angekommen, kümmerte ich mich um die Kaffeemaschine, die anderen erledigten so nebensächliche Dinge wie Motorräder ausladen, Reifenwärmer aufziehen und Schutzkleidung bereit legen. Es war frisch, aber die Sonne grinste schon fett vom Himmel herab, es versprach, warm zu werden. Für heute standen ein freies Training, das Zeittraining und zum Abschluss die entscheidenden Qualifying Races auf dem Zettel und die Jungs waren entsprechend nervös. Jan und Nico kannten die Strecke ja schon aus dem Vorjahr, für Julian sollte es das „Erste Mal“ sein, man merkte ihm aber nicht viel an.
Ich entschied mich für die Paste mit Tomatensauce, was etwas mehr Vorbereitung erforderte und machte mich an die Herstellung der Tomatensauce. Ein paar Gewürze wären schön gewesen, ich fand aber noch nicht einmal Salz in den vielen Hospitality Kisten, nächstes Jahr werde ich Mami D. beim Einkaufen begleiten. Für die Nudeln würde ich aber Salz brauchen, also schickte ich jemanden los, bei Vorli nachzufragen. Die Tomatensauce bestand also aus passierten Tomaten und einer prima Fertigsauce al Arrabiata. Die Pampe köchelte vor sich hin, Nudeln wollte ich später erst machen, die Jungs waren jetzt im halbstunden Takt auf dem Track, einen Zeitpunkt für's Essen zu finden, war schwierig.
Im freien Training schlugen die Burschen sich schon mal gut, kamen prima mit dem Track zurecht und brachten gute Zeiten mit. Nach dem freien Training ging die Diskussion um die Reifen los, ich klinkte mich aus und wurde im Pressecenter vorstellig, um mir einen Platz im Netz zu sichern und ein bisschen mit Daniele zu plaudern, dem Pressekoordinator von Youthstream, den ich nun schon bei einigen Veranstaltungen getroffen habe und der ein netter Kerl ist.
Dann machte ich mich daran, Nudeln zu kochen. Der Strom in Bulgarien ist wohl eher schwach, die paar Liter Wasser benötigten eine gute Stunde, um heiß zu werden. Die ersten maulten schon rum, ich befürchtete eine Meuterei und stellte schnell Brot und Käse, sowie etwas Wurst und Weingummi bereit. Die quengeligen Stimmen verstummten und schon ging es los mit dem Zeittraining, jetzt wollte sowieso keiner mehr essen, alle standen an der Strecke und fieberten mit. Noch mal Glück gehabt, dachte ich bei mir und feuerte den Kocher an. Der Erfolg ließ nicht lange auf sich warten, das Wasser kochte und die Nudeln mussten dran glauben. Drei Wochen später waren sie dann auch so weich gekocht, dass man sie getrost als al Dente einstufen konnte und ich stellte sie warm. Jetzt konnte jeder, der wirklich wollte, etwas essen. Ich wollte.
Die anderen langten auch zu, jeder so, wie er gerade Zeit fand und alle wurden satt. Es gab ja auch noch Weingummi.
Die Zeittrainings waren gut verlaufen, Julian stand auf Platz 3, Nico wurde in der S2 Siebter und Jan schaffte Platz 4 in der Open. Nico war unzufrieden, wir konnten ihn aber aufbauen, schließlich war er in der stärksten Klasse unterwegs und seine Zeit war wirklich gut. Er klagte über eine nachlassende Bremse und Sascha machte sich daran, das Ding noch einmal sauber zu entlüften.
Inzwischen war es soweit, das erste Qualifikationsrennen stand an, Julian musste sich und seinen dritten Platz gegen die anderen Nationen behaupten. Ich packte die Kamera weg, wollte in Ruhe zusehen und Daumen drücken, wollte mitten im Team sein. Am Sonntag, bei den Rennen, würde ich im Infield rumlaufen und Bilder machen, mir Notizen zum Rennverlauf auf einen Zettel schreiben und nebenher Daumen drücken. Heute wollte ich frei sein und das Rennfieber mal wieder ganz ohne andere Aufgaben genießen ein letzter Rest vom Racer ist ja noch wach in mir.
Julian setzte sich gleich beim Start auf Platz zwei und konnte diesen Platz auch bis ins Ziel verteidigen, ein guter Auftakt für Team Germany.
Nico kämpfte sich einen Platz nach vorne, Platz 6 im Ziel, die Laune im Team stieg. Beim Start zum Rennen stand ich neben Julian in der Pitlane, er beobachtete den Start und in dem Moment, als die Ampel ausging, schnellten die Finger seiner linken Hand, die er vorher gekrümmt hatte, als ob er den Kupplungshebel halten würde, vor und die rechte Hand drehte nach unten. Ich schwöre, dass der ganze Körper angespannt war, als ob der Kerl in diesem Moment selbst da am Start gestanden hätte. Vollblutracer, mehr fällt mir dazu nicht ein.
Jan verstronzte mal wieder den Start und legte sich dann richtig ins Zeug, er rettete seinen vierten Platz letztlich ins Ziel.
Dann ging die Rechnerei los und als Resultat kam ein dritter Platz für uns heraus, hinter Italien und Bulgarien. Eine gute Voraussetzung für den nächsten Tag, hatten die Jungs doch beim nachmittäglichen Fernsehinterview von einer Top 5 Platzierung geredet und insgeheim gemeint, den vierten Platz der deutschen Moto Crosser beim Cross der Nationen mindestens egalisieren zu wollen.
Nico haderte immer noch mit seiner Bremse und so wurde noch einmal das komplette System überarbeitet, die Mechaniker stürzten sich mit geballter Kraft auf die Magura und tiedelten an dem Teil rum. Ich kümmerte mich um den Abwasch und besorgte ein paar Dosen Bier, was ja wohl mein Job war.
Irgendwann war das Bremsdingens dann auch soweit, dass man ihm zutraute, seinen Job zu erledigen und auch der Berg wurde eingeladen.
Für den Heimweg wurde der Brecher als Fahrer ausgelost und er war gleich wieder auf Zeitenjagd. Dummerweise hatte die innerörtliche Rennleitung noch nichts von der WM gehört und stoppte uns. Julian musste sich dem Kampf allein stellen und gab sich kleinlaut. Die Polizisten gaben ihm zu verstehen, dass er als Bulgare soeben seinen Führerschein eingebüßt hätte und überlegten sich eine angemessene Summe, die ihn in die Freiheit entlassen würde. Während Julian im Vito nach Geld suchte, stiegen die Kollegen vom Staatsdienst in ihren Dienstwagen und fuhren einfach davon. Wahrscheinlich hatten sie Feierabend oder waren Fans vom Team Germany. Wir setzten die Fahrt jedenfalls unbehelligt fort und Julian musste sich einige Sprüche anhören.
Im Hotel gab es wieder den üblichen Kampf mit dem Personal, heute war eine ehemalige Domina die Chefin, Bestellungen wurden nur widerwillig und mit Karate-Englisch entgegengenommen, oder aus der Speisekarte abgelesen. Wir teilten den Raum mit der Fußball Nationalmannschaft aus Mazedonien oder Aserbaidschan, die am nächsten Tag ihr Qualifikationsspiel zur Weltmeisterschaft gegen Bulgarien bestreiten würde. Vesi konnte das mit seinen Fremdsprachenkenntnissen herausfinden und wir prosteten den Kickern aufmunternd zu. Unsere Sportfahrer waren wieder früh in ihre Zimmer verschwunden, wir alten Herren ließen uns etwas mehr Zeit, im Alter braucht man ja nicht mehr soviel Schlaf und so richtig Gasgeben mussten wir am nächsten Tag ja auch nicht.
Als ich dann später auch im Bett lag, waberten die Gedanken durch meinen Kopf. Dritter Platz in der Qualifikation, können die Jungs das Ding wirklich so durchziehen oder kommt dann doch alles anders? Fahren alle sauber durch und retten ihre Startplätze ins Ziel oder verbessern sich sogar noch? Oder geht alles schief, jemand stürzt, ein Motor geht hoch oder die anderen sind dann, wenn es darauf ankommt, doch wieder einen Ticken schneller? Mit diesen Gedanken, die immer weiter rotierten und abstruse Formen annahmen, trieb ich ab ins Reich der Träume und darüber, was dann in meinem Kopf ablief, werde ich hier nicht schreiben.
Am Sonntag waren wir dann etwas früher im Restaurant, der Kaffee war kurz davor, den Aggregatzustand „fest“ zu erreichen. Die Reifenwärmer hatten wir auch vergessen und so hielten wir uns nicht allzu lange dort auf. Das Rührei war seltsamerweise noch warm, eine wirkliche Strategie des Personals war nicht zu erkennen. Wahrscheinlich zielte man auf völlige Verwirrung der Gäste, um von anderen Missständen abzulenken. Die Außentemperaturen in Pleven lagen noch unter der des Kaffees, zudem war es nebelig. Ich wähnte mich kurz in London, das erste kyrillisch beschriftete Straßenschild holte mich zurück in die Realität. Im Fahrerlager zeigte sich dann, wie gut wir schon aufeinander eingespielt, wie sehr wir zu einem Team gereift waren. Ich kümmerte mich um das Wichtigste, den Kaffee, und die anderen spielten mit den Motorrädern herum. Wie jeden Morgen baute ich meine Profiküche auf und bestückte den Tisch mit feinsten Frühstückszutaten. Jeder Handgriff saß, Cerealien mit einem edlen Überzug aus Kakao kamen aus der Blechkiste, dazu gesellte sich Milch. Wurst, Käse, Brot, Müsliriegel und Weingummi kamen noch dazu. Ich bereitete auch gleich die feinen Nudelteigtaschen mit hochwertiger Fleischfüllung an Tomatensauce vor, den Fehler vom Vortag wollte ich vergessen machen und ab dem Mittag eine kräftige Mahlzeit zur Verfügung stellen.
Unsere Jungs waren in der ersten Gruppe, die das warm up bestreiten sollte und warfen sich zeitig in ihre Arbeitskleidung. Zum warm up stand ich dann wieder mit der Kamera an der Strecke um ein paar Bilder vom Formationsflug der Sportfahrer zu machen. Auf Nachfrage, von welcher Stelle der Strecke sie denn am liebsten Bilder haben wollten, kam natürlich der Wunsch nach Big Air Pics, Kurven scheinen uninteressant zu sein. Ließe man die Burschen frei fahren, tobten sie wohl nur in der Sky Section herum. Der Nebel versaute mir leider die meisten Bilder, Licht war einfach nicht vorhanden, alles wirkte grau in grau, aber unsere Jungs drehten erstaunlich flotte Runden, meist im Pulk, und live zusehen ist eh besser als Bilder anschauen. Nach den warm up Läufen wurde zur gemeinsamen und offiziellen Teamvorstellung auf die Startgerade gebeten, jede Menge Offizielle und auch der oberste Vertreter der ansässigen Kirche waren anwesend. Jede Menge ziemlich hübscher Weinköniginnen oder Hupfdohlen waren mit Schildern bewaffnet, auf denen die Nationen vermerkt waren und unsere Sportfahrer ließen sich von mir mit allen gleichzeitig ablichten, was auch den Damen offensichtlich viel Freude bereitete. Erfolg macht eben sexy, auch wenn er noch ein paar Stunden auf sich warten lässt. Nico war anschließend etwas besorgt, dass seine Freundin davon etwas erfahren könnte. Ich kann Dich beruhigen Nico: Von mir erfährt sie nichts.
Zur Fahrervorstellung hatten sich dann alle Teams mehr oder weniger ordentlich nebeneinander aufgereiht, jeweils eine Schönheitskönigin hielt die Tafel und die Offiziellen sprachen ihre Begrüßungsworte. Inzwischen waren auch jede Menge Zuschauer um die Strecke verteilt, besonders die neu gebaute Mega Tribüne für etwa 3000 Fans an der Sky Section war gut gefüllt. Dann trat der geistliche Führer an das Mikrofon und segnete das Vorhaben Supermoto of Nations mit einer einzigartigen Zeremonie. Sein melodischer Singsang zauberte ein Lächeln in die Gesichter der Teilnehmer und zum Abschluss schritt er die Reihe noch ab und versprühte Weihwasser über jedes Team. Nach dieser wirklich bewegenden Zeremonie gingen wir zurück zu unserer Residenz im Fahrerlager und trafen die letzten Vorbereitungen. Nach den guten Ergebnissen der Sportfahrer in den Qualifikationsrennen hatten wir beschlossen, dass jeder der Drei einmal aus der ersten Reihe starten sollte. Der Platz ist natürlich begehrt, weil da die Kameras stehen und Georgia die Interviews führt. Jan hatte einen Zettel vorbereitet, den er in die Kamera halten wollte: „Vierauge grüßt das Supermoto.de Forum“ und auch Julian und Nico überlegten sich etwas für diesen Moment. Im ersten Rennen würde der Brecher von Platz 3 starten und Nico von Platz 19. Um die aufkommende Nervosität etwas zu dämpfen, packte ich dann das mitgebrachte Spielzeug aus, eine Kollektion von SpongeBob Kuriositäten und Jan war gleich dabei und legte los. Die beiden anderen ließen sich aber nicht so recht anstiften und so wurde es im Laderaum des Trucks, wo die Burschen saßen, schnell wieder still. Naja, so ein Lauf zur Supermoto of Nations ist eben doch was Besonderes und da darf man auch ruhig ein bisschen nervös oder angespannt sein. Tommy hatte sich in den geschlossenen Pavillon zurück gezogen und versuchte zu sich selbst zu finden oder so was. Vesi und Sascha umkreisten die Arbeitsgeräte von Jan und Nico auf der Suche nach einer losen Schraube oder einem Staubkorn und ich steckte mir eine Kippe nach der anderen an. J.P. saß in der Sonne und Uetze war sowieso die Ruhe selbst. Um nicht soviel zu rauchen, arbeitete ich an der Vernichtung der Weingummi Vorräte und latschte mir die Sohlen von den Schuhen. Irgendwann tauchten dann die Red Bull Damen auf und die Sportfahrer verlangten nach der Brause. Die Damen waren aber recht geizig beim Verteilen, also flitzte ich schnell zu ihnen rüber und lichtete sie ab. Die Ladys waren erfreut, wollten Abzüge von den Bildern und so bekam ich die EMail Adresse von Rosi Rok. Als Gegenleistung für die Bilder lockte ich die beiden unter Vorspiegelung fast richtiger Tatsachen in unser Zelt und die Jungs bekamen einen kleinen Vorrat an Getränkedosen.
Die beiden Alleinunterhalter vom Dunlop Service Truck gegenüber machten einen wirklich guten Job, mit fast schon marktschreierischen Fähigkeiten unterhielten sie die Zuschauermassen und zogen Reifen im Akkord auf. Nebenher fanden sie noch Zeit, die Laufbilder der Reifen unserer Sportfahrer zu analysieren. So ein dritter Platz hat echte Vorteile, auch der FIM Präsident und der Rennleiter beehrten uns mit einem Besuch und wünschten Glück für die anstehenden Rennen. Viele Zuschauer blieben stehen, wollten Autogramme, Bilder von sich oder ihren Kindern mit den Bikes, Kappen, T-Shirts und andere Souvenirs. Es herrschte reger Verkehr im Fahrerlager und ich mischte mich ein paar Mal unter die Massen, um meine Nervosität zu verbergen. Manchmal denke ich, ich sollte wieder selber fahren, weil ich glaube, dann ist es irgendwie einfacher, die Spannung zu ertragen. Wenn ich aber ehrlich bin, war ich in meiner aktiven Zeit mindestens genau so nervös, wenn nicht sogar noch nervöser.
Jetzt aber Schluss mit Nervosität, Anspannung und Spekulationen über ein mögliches Ergebnis. Jetzt ging es endlich los, das erste Rennen des Tages stand auf dem Programm. Die Klassen S1 und S2 wurden zum Schlagabtausch auf den Track gebeten, Julian und Nico machten sich fertig, Uetze und Sascha packten die Aggregate und die Reifenwärmer für den Vorstart und die Startaufstellung auf die Transportkarren, die Bikes wurden von den Hubständern gehoben und gestartet. Das Team machte sich auf den Weg zur Strecke, Vesi blieb als Hüter der Residenz zurück und ich packte die Kamera und den Notizblock ein. Endlich ging es los, let's go racing!
Im Vorstart war es schon voll als wir ankamen, das sprach für unser Timing. Kaum angekommen, ging es auch schon los in die Startaufstellung. Die Motorräder kamen auf die Ständer, die Reifenwärmer wurden wieder um die Gummis gewickelt und an das Aggregat angeschlossen. Für die vorderen Reihen standen die Schildhalte- Weinköniginnen bereit, in den hinteren Reihen sorgten meist Teammitglieder für den Schatten. Julian hatte einen Zettel für die Kameras bereit, auf dem er sich bei seinen Sponsoren und seiner Familie bedankte und hatte ihn zwischen Tank und Sitzbank geklemmt.
Foxy gab das Signal: „One Mechanic in the Grid!“, die Reifenwärmer mussten runter, die Mechaniker aus der Startaufstellung, gleich ging es in die zwei Aufwärmrunden und danach stand fast unmittelbar der Start an. Georgia rannte schnell noch zu Julian, um ihn zu interviewen. Er gab sich locker, verstand die zweite Frage nicht und redete trotzdem los, kam ins Stocken und schaute verwirrt. Georgia nahm es mit einem Lächeln auf und fragte noch einmal nach, Julian wurde seine Antwort dann doch noch los und Georgia sprintete aus der Startaufstellung. Es wurde auch Zeit, die grüne Flagge hinter dem Feld wurde schon geschwenkt, das Youthstream Team legt Wert auf Pünktlichkeit. Reihe für Reihe ging es los, zwei warm up laps waren zu absolvieren und dann standen alle wieder auf ihren Startplätzen, waren sortiert und die Strecke wurde freigegeben. Ampel auf Rot, die Motoren drehten hoch, ein sattes Dröhnen lag in der Luft, der geilste Moment eines Rennens stand bevor. Die Ampel ging aus, Kupplungshebel flogen, die Meute donnerte los....
Ich war kurz zuvor in die erste Kurve gelaufen, um dort Bilder vom Start zu machen und sah das Fahrerfeld auf mich zu fliegen. Julian kam gut weg und bog als Zweiter in die Kurve ein, dicht hinter dem Bulgaren und knapp vor dem Italiener. Dann wischten die Fahrer nur so vorbei, in dem Knäuel konnte ich Nico nicht gleich orten, meinte aber, ihn als Vierzehnten gezählt zu haben. Als die Meute vorbei war, rannte ich zurück, um den Rest des Rennens vom Anfang der Zielgeraden aus zu beobachten, von dort konnte ich einen Großteil der Strecke einsehen, vor allem in die Sky Section hatte ich einen guten Einblick. Nach der ersten Runde war Julian wieder Dritter, Gaspardone hatte ihn irgendwo überholt, aber Julian hing in dessen Heck und blieb auch dran, das sah gut aus. Nico kam als Zwölfter aus Runde 1 zurück, er war an seinen Vorderleuten dran und machte mächtig Druck. Man konnte ihm ansehen, dass er mehr wollte, es ging vorwärts und das machte Hoffnung. Die Spitze etablierte sich, Julian war sicher auf Platz drei unterwegs und Nico pushte etwas weiter hinten, er machte jede Runde mindestens einen Platz gut. Ich trabte zwischen Sky Section und Start/Zielgerade hin und her, machte ab und zu ein Foto und kritzelte irgendwas auf meinen Zettel. Eigentlich war ich viel zu aufgeregt, mir Notizen zu machen und ich sollte ja auch später die Ergebnislisten und Lapcharts bekommen. Viel passierte auch nicht mehr in dem Rennen, Nico fightete sich auf Platz acht vor und Julian fuhr unbedrängt auf 3. Mit dem Schwenken der Zielflagge fiel dann auch von mir eine Last ab, Teil 1 des Unternehmens war geschafft. Ich zählte im Kopf schnell die Plätze zusammen und sah Team Germany zusammen mit den Italienern auf Position 1, dahinter die Bulgaren. Weder Bartolini noch Georgiev war es gelungen, sich so durch das Feld zu tanken, wie es Nico geschafft hatte, der kleine Grieche hatte unser Team durch seinen verbissenen Fight nach vorne gebracht!
Schnell zurück ins Fahrerlager mit kurzem Zwischenstopp im Pressecenter, eine Kurzmeldung ins Forum absetzen und feststellen, dass der Haufen per Livestream sowieso alles mitbekommt. Also schnell in die Residenz, Julian und Nico beglückwünschen und schnell ein paar Weingummi futtern. Das Zeug ist prima gegen Nervosität!
Kaum angekommen, ging es auch schon wieder los, diesmal mussten Nico und Jan ran, die Berg war frisch betankt, die Räder waren getauscht und frische Reifen warteten darauf, malträtiert zu werden. Jan war jetzt ziemlich hibbelig, das würde sich auch erst wieder legen, wenn er endlich in der Startaufstellung stand und Vesi ihn mit einem Händedruck auf die Reise schicken würde. Wir kamen wieder passend im Vorstart an, kurz danach standen wir in der Startaufstellung. Sascha und Nico hatten ihre Boxentafel mit einem Gruß an Lars versehen und hielten sie in die Kameras. Das erregte etwas Aufsehen bei der Rennleitung und beim FIM Präsidenten, die auch durch die Reihen der Fahrer liefen. Ich erklärte die Umstände und bekam den Auftrag, Grüße weiter zu leiten.
Da fällt mir ein, was ich bisher vergessen habe: „Hallo Lars, ich soll Grüße von der Rennleitung und Herrn Srb ausrichten!“
Sorry, aber die ganze Aufregung............
Dann ging die Nummer wieder los, „One Mechanic!“ , warm up laps und dann, endlich, der Start.
Ich stand wieder in Corner 1 und wartete darauf, dass die Ampel aus ging.