Tach Winne,
F104 liegt mit seinem Statement zu Deinem Link schon richtig, fragt sich nur, ob das relevant ist. Und wenn, für wen.
Faktisch sind Cafe Racer abgespeckte Serienkräder mit Stummeln und Megaphonen, erstmals am und um das Ace Cafe in London Mitte der 50er aufgetaucht. Damals waren Rennmaschinen der Hersteller deutlich näher am Serienmaterial (lassen wir mal die V8 Guzzi, Gilera Fours und BMW KöWes außen vor). Manxes, BSAs, Nortons, Rudges, Vincents, Triumphs und auch MV Agusta boten ihre Werksrenner oftmals Privatfahrern an. Immer noch viel zu teuer für den Normalfahrer, der mal schnell vom Ace nach Blackpool, Brighton oder Edinburgh sprinten wollte. Dazu noch Jugend, Rebellion und Rock 'n Roll, fertig war die Kiste.
Ein Cafe Racer war kein Rennmotorrad, die wenigsten hatten das Know How und / oder die Kohle für aufwändige Motorrevisionen oder ein taugliches Fahrwerk-Setup. So waren z.B. 350cc Triumphs und 250cc Zweitakt Bantams (Norton) ziemlich populär für Cafe Racer Umbauten - da bezahlbar.
Ab den Sechzigern wurde von den Fahrern schon mehr verlangt. Fahrwerk, Leistung und Bremsen sollten dem EInsatzzweck gerecht werden - Dave Degans mit seinen Dresdas, Dunstall und andere mit Ihren TriBsas, Tritons, Norvins oder Norton selbst mit der JPS oder auch Metisse machten entsprechende und gern genommene Angebote. Solche Maschinen sind bis heute zum Sinnbild eines Cafe Racers geworden.
Mit der seit Beginn der 2000er losgerollten Welle wurden Cafe Racer zunehmend populärer und bilden heute mehr schon einen Sammelbegriff, worunter auch Scrambler, Bratstyles oder auch Bobber fallen. Dies ist zwar "nach Definition nicht regelkonform", aber den meisten Leuten schlicht egal.
Bestes Beispiel ist das Cafe Racer Forum selbst - ginge es nach der Definiton, dürften hier wahrscheinlich weniger als die Hälfte der Angemeldeten eine Cafe Racer ihr eigen nennen.
Da mittlerweile aus der Welle schon eher ein Tsunami geworden ist, mit so ziemlich allen Herstellern den selben Songtext singend, dazu noch mit Zubehör- und Kleidungsanbietern auf dem Trittbrett, driftet der Cafe Racer in einen marketing-overhypten Mischmasch, der kaum noch klare Abgrenzungen zulässt. Das mag man beklagen oder nicht, aber die Kundschaft mag es so. Ob RnineT oder Scrambler, die bald kommenden, neuen Triumphs als Nachfolger der Bonneville / Thruxton Baureihen oder die wie Pilze aus dem Boden schießenden Schrauberbuden, das alles bedient eine wachsende Nachfrage auf dem Markt.
Hierbei werden typische Elemente teils beliebig sortiert und dem geneigten Kunden über alle Kanäle von vorne bis hinten durch jede nicht verstopfte Pore gedrückt. Hat man sich vor 5 Jahren noch über ein Cafe Racer Video gefreut, würde es mich heute nicht mehr wundern, wenn bei Edeka Cafe-gestylte Einkaufswagen mit "handgemachter Mucke" und "Rebel-Painting" zum Einsatz kämen. Als Beispiel hierfür sei z.B. der nicht völlig geglückte Louis-Clip "Bikers Riding Out" genannt.
Parallel zur Cafe / Retro Welle haben seít ca. 10 Jahren urbane Mitdreißiger das (umgebaute) Motorrad als Inspirationsquelle entdeckt. Oftmals unbeleckt von technischen oder fahrerischen Aspekten liegt der Focus klar auf Style. Manchmal sogar auf "Kunst", wie kürzlich in der Arte-Reportage über die Blitz Jungs aus Paris zu sehen. Letztere haben mittleweile ihren eigenen Film gelauncht, der zwar von Filmkritikern ziemlich verissen wird, aber auch sicher seine Zielgruppe finden wird. Jeder muss halt selbst wissen, ob er für 15 -20 K Euro eine in "100 bis 200 Arbeitsstunden" stylisch veränderte /6 oder R100R erwerben möchte. Oder vielleicht doch besser eine Seien /5 zu einem Drittel des Preises. Dafür aber wahrscheinlich nicht mit dem Vorschlaghammer "eingepasstem" Lenkkopflager.
Die Flut von "bike-Infomercials", die unzähligen Meinungen in Foren, erwschweren hierbei den Überblick - der gestresste Mensch will einfache Lösungen, wenig ausgeben und sich nicht mit komplizierten Dingen beschäftigen. Hierfür steht ihm eine Armee von Anbietern hilfreich bei Seite, die alles ohne Aufwand zum sofortigen Verzehr inkl. Emotionen, Echtheit, Wahrheit und trotzdem maximaler Individualität beidhändig zur Verfügung stellt.
Ich denke, da geht´s nicht nur dem Winne so, dass er sich fragt - "was ist denn jetzt wirklich Sache"?
Für mich ist ein Kratt erst mal ein Kratt. Kann man zum Caffer umbauen. Oder Brat oder Scrambler, oder, oder... Wenn beliebt auch Kunst oder Religion daraus machen. Ich persönlich steige da aus, wo mir Kunst als alleinstehender Wert Fahrwerksschwächen und stümperhafte Basteleien schmackhaft machen soll. Und das noch zum "Sonderpreis".
Illustrierend für das Aufsaugen von tatsächlich authentischen Inhalten durch den Mainstream und das damit einhergehende Verrücken von Perspektiven und der Beeinflussung der Wahrnehmung der Zielgruppe noch zwei links-
Der erste zu einem Musikclip - The Fade Out Lines, in 014 einer der meistgespielten clips. Von Le Avener. Sollte man meinen. Tatsächlich ist der Titel von diesen Herrschaften - und inho um Längen besser als der "Hit-Remix" - weiß nur kaum jemand:
https://www.youtube.com/watch?v=5KG6sh0NB-U
Der zweite zur Cafe-Studie Husqvarna 401, bei dem Imho einer der besten Off Texte gesprochen wird "I don´t want what they had, I want what they wanted":
https://www.youtube.com/watch?v=7SZRrmJDKsA
Die Welt ist halt wie sie ist. Dazu gehören "die hard caff aficionados", die Ihre exklusiven Status durch den Mainstream bedroht sehen. Und urbane Hipster, die Exklusivität mit Flanell und Bärten auf Kunstwerken zur Schau stellen.
Was ist also ein Cafe Racer? It´s nimble, lightweight, and fast. Schon vor Youtube und viralem Marketing. Und auch in Zukunft.
Manchmal braucht es eben den zweiten Blick für die wahre Liebe. Und auch immer wieder den in´s Cafe Racer Forum.
Rev it up!
MfG
caffbeemer